Antike Poesie und ihre Geschichte

Eine lyrische Zeitreise mit Achim Lenz in der Klosterkirche Brunshausen

Achim Lenz bei seiner Lesung in der Klosterkirche.

Brunshausen. Die einzelnen Worte wirklich zu schmecken, rät Achim Lenz seinem Publikum bei den Versen von Sappho. Es ist ein lyrischer Schatz, den der Schweizer Theatermacher auf der Empore der Brunshäuser Klosterkirche strahlen und funkeln lässt, aber eben nur ein sehr kleiner. Was die antike Dichterin vor fast 2.700 Jahren der Nachwelt hinterlassen hat, ist oft nur in Bruchstücken überliefert. Lenz liest zunächst das einzig vollständig erhaltene Gedicht Sapphos, ihre poetische Zwiesprache mit der Göttin Aphrodite. Später wird er berichten, dass es trotz feinsinniger Interpretationen es bis heute nicht gelungen sei, ihre außerordentliche Kunst fassbar zumachen und dass sie vom heutigen Hörer erspürt werden müsse.

Diesem Spüren und Schmecken antiker Verskunst widmet sich Lenz umso lieber, weil in dem Theatermacher natürlich auch das Herz des Altphilologen schlägt, der erst ein so genanntes ordentliches Studium absolvierte ehe er sich der Bühnenkunst widmete und immer noch gern auf Altgriechisch rezitiert. Aber er ist eben auch ein Kenner der antiken Geschichte und der Schauplätze, an denen Sappho einst wirkte und so entdeckt seinem Publikum an diesem Abend die historischen Schätze, die schon so lange zwischen den antiken Versen lagern.

Da ist zunächst die Vorgeschichte der Entdeckung und Erforschung der raren 160 Verse, aus denen Lenz schöpft und wie sie aus Wüstensand in Papyrusschnipseln geborgen wurden. So faszinierend wie Sapphos Gedanken und Erfahrungswelt selbst klingt auch seine Schilderung, wie einzelne Worte auf den oft mehrfach bekritzelten Resten mit Rastermikroskopen wieder fassbar gemacht wurden und nun eine Sammlung von 160 Versen und Gedichtfragmenten bilden. „Also wird es ein kurzer Abend“ witzelt Lenz und hat bereits eine weitere antike Spur im Blick, an der er das Leben der antiken Dichterin erhellt. Zu dem, was über sie an Fakten und Vermutungen kursiert, gehört ein reicher Ehemann, dass sie offenbar früh verwitwet war und eine Zeit lang in der Verbannung lebte, als auf ihrer Heimatinsel Lesbos Parteienkämpfe tobten. Dazu gehören ebenso Indizien, dass sie zur Oberschicht gehörte und eine umfassende Bildung erhalten haben muss, die sie später als Erzieherin in den so genannten Mädchenkreisen auf ihre ganz besondere Weise weitergab. So wie Lenz die Verse Sapphos immer wieder mit dem Wesen ihrer Verfasserin verwebt, nimmt auch ihr Portrait auf faszinierende Weise Gestalt an. Er beschreibt sie zwar ganz profan als Leiterin eines Mädcheninternates, in dem adlige junge Frauen auch auf ihre spätere Rolle als kultivierte Ehefrau vorbereitet wurden.

Doch dabei macht er vor allem hellhörig für die Kunst Sapphos, Bildung und Erziehung als Bereicherung vor allem im Miteinander erfahrbar werden zu lassen. Was auch viele ihrer Verse bekunden ist die Stimme einer Frau, die selbstbewusst zu ihren Gefühlen und ihren Ansichten stand, zu differenzieren vermochte und immer auch zu genießen. Lenz rezitiert Sappho, wie sie mit ihren Mädchen dem Leben huldigt und der subjektiven Wahrnehmung dessen, was es auch in den kleinsten unscheinbaren Momenten lebenswert macht. Die ein oder andere poetische Attacke gegen die Macht- und kriegsverliebte Männerwelt bergen die Papyrusreste ebenfalls, aber das Herz des Altphilologen schlägt vor allem für die Verse, die sich den Mädchenkreisen und ihrer Gedankenwelt widmen und dann gemeinsam mit ihnen gesungen wurden. Noch einmal rezitiert Achim Lenz Sapphos Gebet an Aphrodite und ihren kämpferischen Dialog mit der Liebesgöttin, der sie mit den Worten huldigt, die auch das Motto für diesen poetischen Abend bilden: „ Bunthronig unsterbliche Aphrodite“. Dabei lässt er sein Publikum nun den Klang des Altgriechischen schmecken und die Verse im antiken Gewand strahlen.

Poesie von Sapphos Zeitgenossen und von Homer gab es bei dem  anschließenden „Epilog“ im Café im Klosterhof. Lenz unternahm weitere faszinierende Zeitreisen in die Antike bis hin zur Erfindung des Alphabets und dem Rhythmus eines Hexameters, wie er die griechische Dichtkunst prägen sollte. In ihm schlägt neben dem Herz des Altphilologen auch des Komödianten, der nicht nur gerne antike Verse im Original rezitiert sondern seinen altgriechischen Sprachschatz auch in Griechenland selbst mal erprobt hat.

Dabei bekam er zwar nicht so viel Beifall wie bei seiner Lesung aber immerhin erntete er fröhliches Gelächter. Das teilen jetzt wiederum die Zuhörer im Klosterhof Café mit den Fischern im Athener Hafen, bei denen sich Lenz nach einer schwimmenden Mitfahrgelegenheit für eine Reisegruppe erkundigt hatte. Im Altgriechischen wurde daraus die Bitte um eine Galeere, damit er mit seinen Sklaven in See stechen könne.

Zum Epilog kredenzte der Schweizer Griechenlandliebhaber seinem beschwingten Publikum auch noch ein poetisches post scriptum von Alkaios. „Trink und berausche dich“ hatte der Zeitgenosse Sapphos gedichtet und damit zugleich eine schöne Widmung für diesen Abend verfasst. Die Verse waren wunderbar zum Genießen, um in ihrer Schönheit und Klarheit vielleicht auch ein bisschen zu berauschen.tf