Corona-Ausbruch: Wie reagieren Gandersheim und Umland darauf?

Intensive Diskussionen / Überwiegend faktisch und sachlich / Empörung über Ausnahmegenehmigung

Bad Gandersheim. Corona bewegt die Menschen, wie derzeit kein anderes. In Bad Gandersheim und Umgebung sowie im ganzen Landkreis Northeim wird darüber vor allem in den sozialen Netzwerken und hier vornehmlich unter anderem auf Facebook in unglaublicher Intensität und mit unterschiedlichsten Ansichten und Meinungen diskutiert.

In den vergangenen vier Tagen natürlich vor allem um den Corona- Massenausbruch im Gandersheimer Glaubenszentrum. Gut zu beobachten war dabei, dass anfänglich die Stimmung gegenüber dem Glaubenszentrum noch zurückhaltend, in manchen Beiträgen auch mitfühlend war. Das änderte sich ab dem Mittwoch allerdings, als die ersten Ergebnisse des Massentests bekannt gegeben wurden. Schon die erste Zahl von 53 Infizierten aus nur 159 von insgesamt 252 Test schockierte die meisten Kommentatoren.

Wie das für soziale Netzwerke typisch ist, kam es vereinzelt schnell zu Mutmaßungen und Vorwürfen, einem solchen Ergebnis könne doch wohl nur ein Fehlverhalten zugrunde liegen. Die Zahl derer, die ein solches unterstellten, wuchs am Donnerstag noch einmal in gleichem Maße, wie die Zahl der Infizierten, die da schon mit 125 angegeben werden musste.

Eine Infektionsrate von rund der Hälfte der Getesteten – das machte das sonst so brisselige Facebook kurz mal sprachlos. Aber nur kurz, dann ließen sich die Kommentatoren im Facebook-Auftritt des Gandersheimer Kreisblattes wieder freien Lauf. Michael K. schrieb: „Krass... und da die Leute sich ja auch außerhalb vom GZ aufhalten, möchte ich mir die Dunkelziffer in Gandersheim gar nicht vorstellen.“

Anne K. brachte ihre Gefühle auf den Punkt: „Noch habe ich mich hier sicher gefühlt, aber nun habe ich Angst. Vor allem um meine Familie.“ Zahlreiche Zustimmungen unterstrichen, dass diese Besorgnisse von vielen Menschen geteilt wurden. Immer wieder war natürlich auch der Zusammenhang zum Glauben Thema. Von den Kommentaren, die darauf verwiesen, dass der Glaube eben wohl auch nicht vor einer Pandemie schütze, einmal abgesehen, schrieb zum Beispiel M.T. unter anderem: „Sie waren damals schon der Meinung, sie könnten Krankheiten wegbeten...half es nicht, war der Kranke schuld, er würde nicht glauben. Die sind so abgehoben , teilweise überhaupt nicht mehr in der Realität lebend. Ja, ich kenne einige, die dort waren und auf Heilung hofften, danach bitter enttäuscht waren.“ Natürlich gab es auf eine solche Position auch Widerspruch, wie Waltraud G. ihn formulierte: „Natürlich heilt Gott, aber nicht immer so, wie wir uns das wünschen. Das dann aber dem Kranken anzulasten, und sich anzumaßen, er würde nicht glauben...wer gibt uns das Recht, über andere und deren glauben zu urteilen.“

Vermischt mit den ersten Schreckreaktionen waren weitere Reflexe, die wir schon einmal im Frühjahr erlebt haben. So ließ sich Sarah W. mittendrin vernehmen: „Ich sehe es kommen, ich muss noch schnell Klopapier kaufen.“ Zu spät! Die sofort folgenden Antworten am Donnerstagnachmittag dokumentierten – zum Teil sogar mit Fotos aus den Läden –, dass zum Beispiel im E-Center bereits die Regale leergeräumt waren.

Danii K. bestätigte: „Grade in der Bad Gandersheim Marktplatz- Gruppe gelesen, dass im Edeka Toilettenpapier sowie Milch ausverkauft ist.“ Die gute Nachricht: Am Freitag waren die Regale wieder gefüllt. Zugleich gab es auch Aufrufe in den sozialen Medien, doch bitte solche Hamsterkäufe zu unterlassen. Grundlegend besteht kein Versorgungsengpass, sondern werde nur durch solche psychologischen Krisenreflexe kurzzeitig künstlich einer erzeugt. Zu einem ganz besonderen „Aufreger“ wurde dann eine Ausnahmegenehmigung des Landkreises Northeim.

Die Behörde hatte unter Quarantäne gestellten Mitgliedern des Glaubenszentrums erlaubt, von zwei Gästehäuser am Schanzenstieg und der Dr. Heinrich-Jasper-Straße zu den Mahlzeiten ins Glaubenszentrum zu gehen. Als das GK darüber am Donnerstagnachmittag via Facebook grundlegende Informationen weitergab, explodierte der Volkszorn geradezu. Eine breite Welle der Empörung und des Unverständnisses über ein solches Vorgehen zog sich durch mehr als 95 Prozent aller Kommentare, die es nur so hagelte.

Vanessa K. schrieb: „Das macht mich irgendwie fassungslos. Möglicherweise können viele nichts dafür, dass sie sich angesteckt haben. Aber der gesunde Menschenverstand sollte einem doch sagen, dass man dann jetzt auf dem Gelände bleibt. Es gibt immer schwarze Schafe, und denen möchte ich beim Spazierengehen nicht begegnen.“

Gunter L. wurde direkter: „‘Quarantäne light’ für das Glaubenszentrum?! Eine Lachnummer“, sein Kommentar, dem viele weitere mit deutlich schärferer Kritik folgten. Wie ein solches Vorgehen auch Vertrauen untergraben kann, machte neben anderen Sebastian T. deutlich: „Und dann wird sich gewundert, dass immer mehr Leute den ganzen Mist nicht mehr ernst nehmen.“ Und Kathi F.E. fasste zusammen, was viele dachten und auch schrieben: „Dann muss die Versorgung von der Einrichtung organisiert und bezahlt werden und zwar so, dass keiner in der Öffentlichkeit unterwegs ist! Das ist doch wirklich kein Argument („Dort ist keine Küche“), dann muss eine andere Lösung her! Wieso kann das Essen nicht in zu dem Haus gebracht werden?“ Entsprechend durchweg zustimmend waren die Reaktionen, als am Freitagnachmittag die Rücknahme dieser Ausnahmeregelung vom Landkreis mitgeteilt wurde.

Julia R. schrieb: „Richtig so. Kann ja nicht sein, dass die das Virus noch weiter verbreiten. Quarantäne heißt, bleib mit seinem Arsch in der Wohnung! Keine Ausnahmen.“

Zweifel blieben, wie Müller R. andeutet: „Hauptsache es wird sich dran gehalten!“ Andere forderten klare Kontrollen. Generell zeigte sich in den zahllosen Kommentarketten, dass ein großes Bedürfnis nach Faktenvermittlung besteht. Vielfach werden solche auch hinterfragt oder Quellen für Belege angeführt. Immer wieder mal braucht es auch besonnene Kommentatoren, die verirrte Äußerungen wieder geraderücken. Im Großen und Ganzen aber – und das gilt auch unter dem besonderen Aspekt, dass hier ein Vorkommnis in Bad Gandersheim einen ganzen Landkreis in den Status eines Risikogebietes mitgerissen hat – blieben die Diskussionen sachlich und arteten nur selten einmal eingreifenswert aus.rah