„Da war vieles für mich neu und sehr bedrückend“

Was in den Jahren 1944 und 1945 auf dem Klosterhügel in Brunshausen passiert ist und wie dieses Areal von den Nationalsozialisten genutzt wurde, haben am Sonnabend und Sonntag die Teilnehmer eines vom Verein Portal zur Geschichte ausgerichteten Themenwochenendes erfahren. Im Rahmen von Führungen vermittelte Gästeführerin Ursel Schardinel viele Informationen zur sogenannten Kinderpflegestätte und zur Außenstelle des KZ Buchenwald, die politische Häftlinge als billige Arbeitskräfte für die Heinkel-Werke zur Verfügung stellte. Schardinel empfing die Teilnehmer im Sommerschloss in Brunshausen, wo die Nationalsozialisten im Sommer 1944 eine „Kinderpflegestätte“ eingerichtet hatten, die rund ein halbes Jahr bestanden habe. Sie diente dazu, dass Zwangsarbeiterinnen ihre Kinder zur Welt bringen konnten. Schon nach kurzer Zeit mussten sie ihre Kinder zurücklassen und bei der Arbeit erscheinen. Vermutlich sind auch eine ganze Menge Verwaltigungskinder darunter gewesen, so Schardinel. Viele der Kleinkinder hätten nicht überlebt. Die Zustände in der Einrichtung waren katastrophal, wie die Gästeführerin mit einigen Punkten deutlich machte. Sie verwies auf die schlimme hygienische Situation, das völlig heruntergekommene Mauerwerk, es sei zugig gewesen, bestenfalls habe es einen kleinen Ofen gegeben. Die Versorgung sei schlecht gewesen, Zuwendung habe es für die Säuglinge der Zwangsarbeiterinnen nicht gegeben. „Das ist ein furchtbares Ding, was da passiert ist“, formulierte Schardinel. Die Zwangsarbeiterinnen hatten nach ihren Worten nicht nur das Problem, dass sie im Grunde wie Sklaven lebten und ihre Kinder nicht behalten konnten. Nach der Nazizeit hätten sie nicht wieder nach Hause gekonnt, weil ihnen dort vorgeworfen wäre, dass sie mit den Nationalsozialisten zusammengearbeitet haben. Auf dem Weg aus dem Sommerschloss in die ehemalige Klosterkirche machte die Gruppe einen Halt an den Stolpersteinen. Diese sind für Kinder aus der Kinderpflegestätte verlegt worden, von denen der Name, das Geburts- und das Sterbedatum bekannt seien und denen auch durch Gedenktafeln gedacht wird. Im Herbst 1944 wurde Brunshausen zum Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald. KZ-Gefangene aus verschiedenen Ländern mussten im benachbarten Rüstungsbetrieb Zwangsarbeit leisten. Bis im Januar 1945 einfache Baracken für die Gefangenen entstanden, wurden die knapp 600 Menschen in der ehemaligen Klosterkirche untergebracht. Diese war dafür mit einer Strohschütte ausgestattet worden, erläuterte Schardinel dort. Unter schlimmen Bedingungen mussten die Häftlinge während der Winterzeit in dem seinerzeit baufälligen Gebäude mit offenen Dach ausharren, in dem sie die SS bewachte. Schardinel las Passagen aus einem Buch des französischen Schriftstellers und Résistance-Kämpfers Robert Antelme, einem Häftling aus Buchenwald, in dem er seine Ankunft auf dem Klosterhügel und seine Eindrücke vom Inneren der Kirche und der generellen Situation dort schilderte. Als alliierte Truppen heranrückten, wurden die Gefangenen am 4. April von der SS-Wachmannschaft auf einen Todesmarsch über den Harz geschickt. Wer nicht gehfähig war, sollte sich im Vorfeld melden, um nach Bad Gandersheim in das Krankenhaus zu kommen, schilderte Schardinel. Stattdessen seien die Gefangenen in den Wald geführt und erschossen wurden. Teilweise hätten Kinder und Jugendliche am Wegesrand gestanden und sie beschimpft. Schardinel machte abschließend an Beispielen deutlich, dass man in der Roswithastadt sehr empfänglich für die Propaganda der Nationalsozialisten gewesen ist. „Bad Gandersheim hat als erste Stadt ein Hakenkreiuz im Poststempel gehabt“, berichtete Schardinel den Teilnehmern der Führung. Dazu gehörte Frauke Lohrberg aus Westerhof: „Da war vieles neu für mich und sehr bedrückend“, sagte sie. Ursel Schardinel habe die Führung „ganz toll gemacht“. „Ich habe gelesen, dass hier etwas vorgetragen wird und fand das Thema gerade in der heutigen Zeit sehr interessant“, erklärte Maria Kalvelage, die derzeit als Kurgast aus dem Kreis Vechta in der Roswithastadt weilt. „Das mit den Kindern hat mich sehr berührt. Ich hätte nicht gedacht, dass Gandersheim so betroffen ist mit dem Ganzen. Das ist eine heftige Geschichte“, ergänzte sie. Was sich im Groben in Brunshausen mit den Kindern und den KZ-Häftlingen abgespielt habe, sei ihr bekannt gewesen, betonte Silke Krause aus Bad Gandersheim. Neu sei für sie, dass knapp 600 Menschen in der Klosterkirche untergebracht gewesen seien. Der Augenzeugenbericht von Robert Antelme habe sie sehr bewegt, sagte Kurgast Ruth Brauers aus Herzogenrath bei Aachen. Sie habe in der Woche zuvor bereits an der Gedenkfeier in Brunshausen teilgenommen. „Was hier mit den Kindern passiert ist, das ist einfach ganz entsetzlich.“ Unter dem Titel „Zeugnisse aus dem KZ-Außenlager Gandersheim“ beleuchtet vom 26. April bis 31. Oktober eine Sonderausstellung in Räumlichkeiten der Klosterkirche dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte mit Archivmaterial, Zeitzeugenberichten und authentischen Exponaten, heißt es in der Ankündigung. Im Zentrum stehen die Schicksale der Häftlinge, unter ihnen Robert Antelme. Die Ausstellung kann donnerstags bis sonntags zwischen 13 und 17 Uhr besucht werden. Öffentliche Führungen ohne Anmeldungen gibt es während der Ausstellungsdauer sonnabends und sonntags um 14 Uhr, Gruppenführungen und Schulklassenführungen nach Vereinbarung.

„Da war vieles für mich neu und sehr bedrückend“

Brunshausen 1944/45: Führungen zum Themenwochenende des Portals zur Geschichte vermittelten viele Informationen

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