Das große Corona-Chaos vom Montag

Corona-Regeln sorgen für pures Chaos: Dürfte Gastronomie nun öffnen oder nicht?

Bad Gandersheim. Es war am Sonntag schon fast abzusehen: Der Montag dieser Woche würde möglicherweise in Sachen Corona sehr chaotisch werden können. Zum einen, weil da zwar noch offen stand, dass Northeim in eine „Bundesnotbremse“ hineinschlittert. Zum anderen, weil ab Montag genau das Gegenteil, nämlich Lockerungen in der Roswithastadt erwartet wurden. Und dann das: Northeim überschritt von Sonnabend bis Montag dreimal hintereinander die Inzidenz 100.

Die Auslösung der Bundesnotbremse wurde so letztlich unausweichlich und am Montag vom Landkreis Northeim veranlasst. Was verfahrenstechnisch bedeutet, der Landkreis schreibt eine Allgemeinverfügung, die am Dienstag bekannt gemacht wird. Einen Tag danach, also am Mittwoch, ist Northeim unter der Bundesnotbremse. Statt Lockerungen also der komplette Rückschritt.

Ach: die Lockerungen! Da hat sich das Land Niedersachsen offenbar keinen großen Gefallen getan, seine Regelungen zu den ab Montag, 10. Mai, vorgesehenen Lockerungen vielleicht nicht ausreichend genau zu fassen. Da gab es am Montagvormittag aus dem Kreishaus in Northeim erst Meldungen, wonach die ab heute möglichen Lockerungen ausgesetzt seien, weil der Landkreis am Montag eine Inzidenz über 100 aufwies. Nur wenig später erfolgte eine Richtigstellung, dass dies nun doch nicht der Fall sei.

Gastronomen dürften damit am Montag und Dienstag noch öffnen und durch eine Lücke schlüpfen, die eben aufgrund der „unscharfen Formulierungen“ geblieben sei. Verstehen konnten das am Montag die wenigsten Menschen. Schon gar nicht vor dem Hintergrund, dass die Inzidenzenüberschreitung an sich schon eine Hochstufung des Landkreises Northeim zum „Hochinzidenzkreis“ bedeutete.

Verständlich zu machen ist das auch niemanden, der sich die Fallzahlen im Landkreis Northeim anschaut, die am Montag bei einem Zuwachs um 55 Infizierte über das Wochenende mit insgesamt 382 aktiven Infektionen einen unsäglichen Höchststand erreichten. Und dann trotzdem lockern? Sinn machte das alles nicht. In einer Erläuterung des Landkreises zur Gesetzeslage machte Pressesprecher Dirk Niemeyer deutlich, dass die Bundesgesetzgebung zur Bundesnotbremse als übergeordnetes Gesetz über eventuellen Landesregelungen stehe.

Daher müsse der Landkreis nach dessen Vorgaben handeln, und die schreiben nunmal die Einleitung der Bundesnotbremse vor. Deren Wirkung entfaltet sich ab Mittwoch mit Folgen, die noch später genauer berichtet werden. Für Montag und Dienstag hat diese Rechtsauslegung die kuriose Folge, dass – weil die Bundesnotbremse noch nicht wirken kann – die Lockerungsregelungen des Landes noch ausgelebt werden dürfen, wenngleich ja nur von einem stark eingeschränkten Personenkreis.

Ab Mittwoch ist damit aber definitiv dann wieder vorbei. Entgegen dieser Rechtsauslegung bestand breithin die Auffassung, dass die Lockerungen im Landkreis Northeim ausfallen müssten, weil die vom Land postulierte Grundlage, eine Inzidenz von unter 100 nachweisen zu müssen (und dies an fünf aufeinanderfolgenden Werktagen) im Kreis Northeim seit Sonnabend deutlich verlassen ist. Eine endgültige Deutung vom Land Niedersachsen, ob die in Northeim geübte Rechtsauslegung korrekt sei, war am Montagnachmittag durch das GK angefragt, stand aber noch aus. Nur eins war klar: So machen Lockerungen ganz und gar keinen Spaß.

Kommentar von Rudolf A. Hillebrecht

Nein, so etwas haben wir in den nun fast 15 Monaten Corona-Pandemie noch nicht erlebt. Es mag ja schon so manche Regelung gegeben habe, die hinterfragenswert war. Nicht selten haben wir auch den Kopf geschüttelt, wenn Maßnahmen zu langsam, zu lasch oder gar nicht kamen. Aber das Chaos vom Montag? Nein, so etwas haben wir noch nicht erlebt.

Es mag ja sein, dass hier zwei Regelung aufs Unglücklichste miteinander kollidierten: die Bundesnotbremse und die zarten Lockerungsversuche des Landes Niedersachsen. Vermutlich hat es dabei in Hannover an Phantasie gefehlt, sich ein solches Zusammentreffen vorstellen zu können, sonst wäre man darauf gestoßen, was die Koinzidenz beider Ereignisse an Fragen auslösen könnte. Zuvorderst schieres Unverständnis. Da laviert sich der Landkreis Northeim mit dreimal über 100 in die Bundesnotbremse.

Blöd, aber mindestens klar geregelt, was nun folgt: Kreis-Verfügung am Dienstag, Notbremse am Mittwoch. Doch dann vermeldet das Kreishaus in Northeim am Montag: Die anstehenden Lockerungen finden doch noch statt – mindestens an Montag und Dienstag. Trotz Inzidenzverstoß, der an sich schon disqualifizierend hätte sein müssen, weil die vom Land gesetzten Bedingungen gar nicht mehr erfüllt waren. Trotz Infektionszahlenhöchststand – nicht nur kreisweit, auch in der Roswithastadt.

Wer soll das noch verstehen? Klarheit und Transparenz ist das, was Corona-Maßnahmen brauchen. Gegen diesen Grundsatz ist im vorliegenden Zusammenprall zweier Regelung eklatant verstoßen worden. Kann ja mal vorkommen, dass etwas so schief geht, richtig schlimm wird es aber dadurch, dass vom Land dazu kein klärendes Wort kam, wie denn der Landkreis Northeim nun rechtssicher mit der Lockerung umgehen dürfe.

Die Verunsicherung reichte bis tief in die Kreisverwaltung. Auch dort deutete man die Montagslage erst auch so, dass Lockerungen an sich nicht möglich seien; um dann doch wieder zurückzurudern, und sie weitere zwei Tage zuzulassen. Widerspruch aus Hannover? Fehlanzeige! Dazwischen die Menschen in der Region, die sich am Montag vielleicht manchmal gefragt haben mögen, was das für ein Affentheater sei.

Der Verstand sagt ganz klar: Lockern in der Lage geht gar nicht. Und Notbremse mit „Party“ vorher, welchem schrägen Konzept ist das denn entsprungen. Aber die Menschen auf der Straße hat ja auch keiner gefragt. Wie sonst auch nicht. Sie müssen mit dem klarkommen, was man uns erklärt – oder bislang nicht nicht erklären kann. Wir können es mangels Antworten auf brennende Fragen leider auch nicht. Ich habe Verständnis für jene, die am Montag diese lange ersehnte Chance noch nutzen, ein Bier am Markt zu trinken. Ich habe kein Verständnis für Politik, die mit möglicherweise unklaren Entscheidungen unser aller Lage verschlimmert, weil vielleicht das Infektionsgeschehen in einer ohnenhin brenzligen Situation noch angeheizt wird. So darf es nicht nochmal kommen.rah