Demonstrationen im Wandel der Zeit

Generationenübergreifender Dialog im Roswitha-Gymnasium mit Absolventen des Jahres 1969 und Elftklässlern

Generationenübergreifender Dialog in der Aula des Roswitha-Gymnasiums.

Bad Gandersheim. Wofür lohnt(e) es sich auf die Straße zu gehen? Diese Frage war Ausgangspunkt eines generationenübergreifenden Dialogs im Roswitha-Gymnasium Bad Gandersheim. Absolventen des Jahres 1969 dieser Schule und Elftklässler sprachen über Demos in Deutschland heute – und vor 50 Jahren. Mit Einblicken in ihre Vita vermittelten sie zugleich ein Stück Zeitgeschichte. Unter Leitung der Koordinatorin Gisela Holtmann hatten sich die Schüler auf die Diskussion vorbereitet.

„Mehr Demokratie wagen – Willy Brandts großes Wort als Kanzler wäre ohne das, was in den Jahren davor gelaufen ist, überhaupt nicht vorstellbar gewesen“, sagte Bernd W. Kubbig, Organisator der Diskussion und ebenfalls Absolvent des Jahres 1969. Die Demonstrationen gegen den Schah waren nach seinen Worten die Initialzündung für die gesamte Demonstrationskultur und -bewegung. Die Jahre 1967, 1968 und 1969 seien auch der Abschied von der autoritären Schule gewesen, Hierarchien hätten sich verflacht.

Zum Auftakt gaben die Teilnehmer einige Einblicke in ihre Lebensentwürfe und -erfahrungen. Der langjährige Landrat in Hildesheim, Reiner Wegner, berichtete, dass er eine Woche lang eine Aufnahmeprüfung absolviert hatte, bis er am Gymnasium aufgenommen worden sei. Von seinem Heimatort Breinum aus sei er zu Fuß oder mit dem Fahrrad zum Bahnhof in Bodenburg gefahren, von wo es per Zug nach Bad Gandersheim weiterging.

Nach dem Abitur habe er in Göttingen studiert und sich relativ schnell dafür entschieden, politisch aktiv zu werden. Anfang der siebziger Jahre sei er im Alter von 19 Jahren in die SPD eingetreten, habe einen Ortsverein gegründet, 1972 hätten die Sozialdemokraten bei der Gemeindewahl erstmals die Mehrheit gewonnen. „Ich war immer der Meinung, man sollte Verantwortung übernehmen und versuchen auch Dinge zu gestalten“, erklärte er.

In der Hochschule habe er Gerhard Schröder kennengelernt, „der aus meiner Sicht ein echter 68er war“. Schröder habe Demonstrationen mitangeführt und Vorlesungen gestört und wollte „an den Hochschulen etwas verändern und mehr Demokratie reinbringen“, so Wegner, der sich kommunal und regional engagierte und auch mal Unterbezirksvorsitzender der Jusos war. Mit Schröder sei er auch einmal zum Bundeskongress nach Wiesbaden gefahren. Er habe studiert, zunächst als Anwalt gearbeitet, sei in den Landtag gewählt worden und danach noch einmal einige Zeit bei der Justiz tätig gewesen. 2006 wurde er zum Landrat in Hildesheim gewählt, seit 2016 ist er im Ruhestand.

„Ich habe mich immer bis heute als Individualist und ansatzweise auch ­­– ohne dass ich damit kokettieren will  – als Außenseiter verstanden“, betonte Axel Schmidt-Scherer, der sich unter anderem als Kulturmanager einen Namen machte. Mit zehn Jahren sei er aus Wuppertal nach Bad Gandersheim gezogen. Seinen Vater habe er mit acht Jahren verloren und auch das als „Außenseiterposition“ begriffen. Schon vor der Musterung habe er als Schüler aus religiösen Gründen einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt.

Schmidt-Scherer erinnerte daran, dass es vor 50 Jahren auch in Bad Gandersheim Demonstrationen gegeben habe. „Wir haben uns nicht als 68er gefühlt, erst im geschichtlichen Rückblick wird eine Epoche daraus.“ Wegen der Atomkraftbefürwortung sei er aus der SPD ausgetreten und habe sich der Grünenbewegung angeschlossen und Kontakt zu Jürgen Trittin bei der Gründung eines Landesverbandes gehabt.

Dieter Zaps war als Manager beim Unternehmen Klöckner-Humboldt-Deutz auf vielfältige Weise mit der Wirtschaft verbunden. „Ich habe zur damaligen Zeit lieber an Autos geschraubt als mich mit Demos befasst“, erklärte er. Zwei Jahre sei er bei der Bundeswehr gewesen und habe studiert. „Ab dann bin ich beruflich durch die Welt gereist, habe die Arbeitslosigkeit in Algerien gesehen“, berichtete er und verwies auf weitere Aufenthalte in der arabischen und asiatischen Welt. Später habe er einige Jahre in Amerika gelebt und die dortige Kultur kennengelernt. Bis zu einem gewissen Grade könne er Amerikaner verstehen, die Herrn Trump gewählt haben. „Man muss vor Ort leben, um eine Kultur wirklich verstehen zu können.“

Zaps gab zu bedenken, dass auf der Welt in 30 Jahren zehn Milliarden Menschen leben, 60 Prozent auf einem Level, „den wir uns gar nicht vorstellen können“. Das was im Mittelmeer geschehe sei „eine kleine Übung dessen, was uns allen bevorsteht“. Wer die Verhältnisse vor Ort gesehen habe, der könne verstehen, „warum sich Menschen unter Einsatz ihres Lebens auf den Weg machen“. Sie würden dorthin gehen, „wo der Fleischtopf voll ist“.

Erster Hauptkommissar Lothar Dolle aus Ahlshausen erinnerte sich, dass sein Auftreten und Erscheinen in dem „stockkonservativen“ von Landwirten beherrschten Ort vermutlich aufgefallen sei, zur Generation 68/69 fühle er sich allerdings „nicht so gehörig“. Es habe keinerlei Busverbindungen in die Stadt gegeben, Bad Gandersheim sei für ihn ein Fremdwort gewesen. Konfirmandenunterricht habe er bei einem sehr fortschrittlichen Pastor gehabt, der sehr progressiv war und viele neue Gedanken in den „kleinen, beschaulichen“ Ort gebracht habe und alles was mit alter Kultur zusammenhing umkrempelte. Dolle: „Er wollte das absolut Neue konzipieren“.

Im Oktober 1969 sei er zur Polizei gegangen, habe die übliche Ausbildung durchlaufen, mehrere Städte kennengelernt, Erlebnisse gesammelt und an vielen Demonstrationen teilgenommen. Diese seien früher von Gewalt von der Gegenseite geprägt gewesen, als Polizeibeamter habe man teilweise Angst um sein Leben haben müssen. Im weiteren Verlauf sprach er davon, dass es einen Demonstrationstourismus gegeben habe.

Der langjährige Allgemeinmediziner Jürgen Köhler erklärte, dass er sich nur wenig an die damalige Zeit erinnere, allerdings seien Demonstrationen in seinem Gedächtnis haften geblieben. So viel herumgekommen wie die anderen Teilnehmer der Diskussion sei er nicht. Er sei deswegen nicht unzufrieden, betonte Köhler und fügte mit einem Augenzwinkern hinzu: „Vielleicht war das auch CO2-neutral.“

Die Elftklässler wollten wissen, wie in früheren Epochen auf Demonstrationen aufmerksam gemacht worden sei. Reiner Wegner und Axel Schmidt-Scherer machten deutlich, dass die Kommunikation und Ankündigung viel über Flugblätter gelaufen sei.

In der anschließenden Diskussion berichteten Schüler unter anderem von ihren Erfahrungen und Erlebnissen bei den „Fridays for future“- Demonstrationen in Bad Gandersheim und machten deutlich, dass die Bewegung etwas bewirke. Die vielen Reaktionen der Politik und die Einladungen an die schwedische Schülerin Greta seien Beispiele für den Erfolg der Bewegung. Teilnehmer der Diskussion machten deutlich, dass deren Ziele nur realisierbar seien, wenn viele Menschen bereit seien, Verzicht zu leisten und zum Beispiel nicht mehr für 20 Euro zum Frühstück nach Mallorca fliegen.art

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