Frauen im Pfarramt: „Talar und Lippenstift“

Ausstellung zum 50-jährigen Jubiläum der ersten Frauen-Ordinationen in der Braunschweigischen Landeskirche kommt

Frauentalare der Paramentenwerkstatt der von Veltheim-Stiftung beim Kloster St. Marienberg in Helm-stedt.

Bad Gandersheim. Die Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig ihr 450-jähriges Bestehen. Gleichzeitig steht aber noch ein weiteres, bedeutsames Jubiläum an: Am 4. April 1968, vor 50 Jahren, wurden in der Evangelisch- Lutherischen Landeskirche in Braunschweig die ersten sechs Theologinnen in der St. Katharinen Kirche ordiniert.

Aus diesem Anlass zeichnet die Sonderausstellung „Talar und Lippenstift – 50 Jahre Frauen im Pfarramt der Evangelisch- Lutherischen Landeskirche in Braunschweig“ in der Stiftskirche zu Bad Gandersheim den langen Weg der Frauen auf die Kanzel nach. Besucher begeben sich mit spannenden Frauenbiographien auf eine Reise durch die Zeit. Beginnend im frühen Mittelalter, als sich die Gandersheimer Stiftsdame Roswitha mit ihrem literarischen Werk ihren Platz in einer männerdominierten Dichterwelt sicherte. Über zahlreiche Äbtissinnen aus einflussreichen Adelshäusern, die die Geschicke des Stiftes leiteten und nicht selten auch politischen Einfluss nahmen.

Durch das Zeitalter der Reformation nimmt die Besucher die Pfarrfrau mit, die in dieser Epoche erstmals in Erscheinung trat und seitdem ihrem Mann unterstützend – aber im Hintergrund zur Seite stand. Zu entdecken sind die Möglichkeiten, die sich Frauen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert für ehrenamtliches Engagement innerhalb der Kirchengemeinden boten und Besucher erfahren mehr über die Berufsaussichten der ersten examinierten Theologinnen.

Die Ausstellungsgäste begleiten die Vorkämpfer für die Frauenordination auf ihrem steinigen aber erfolgreichen Weg ins Jahr 1968. Im letzten Ausstellungsabschnitt werden die persönlichen Erfahrungen von Pfarrerinnen thematisiert. Es werden Fragen nach alltäglichen Herausforderungen und Vorurteilen gestellt. Außerdem werden beispielsweise anhand der für ordinierte Frauen extra eingeführten Zölibatsklausel und deren Abschaffung durch die Neufassung des Pfarramtsgesetzes kirchliche und gesellschaftliche Einflüsse und Veränderungen dargelegt. Am Ende können sich Besucher vielleicht fragen, ob der Weg zu Gleichstellung von Mann und Frau innerhalb der Landeskirche zu Ende ist oder noch weiter begangen werden muss. Schautafeln sowie Objekte, wie ein barockes Abendmahlsgerät aus dem Gandersheimer Frauenstift, Frauentalare der Helmstedter von Veltheim-Stiftung und persönliche Gegenstände der Pfarrerinnen sowie interaktive Stationen veranschaulichen den Weg der Frauen auf die Kanzel.

Die Ausstellung soll beleuchten, welche theologischen und gesellschaftlichen Hintergrunde die Selbstbestimmung der Frau innerhalb der nachreformatorischen Kirche verhindert oder begünstigt haben. Verliefen die gesellschaftlichen und kirchlichen Veränderungsprozesse parallel oder folgte die Kirche dem gesellschaftlichen Wandel gezwungenermaßen? In welchen Bereichen agiert die Kirche scheinbar losgelöst von der Gesellschaft? Ist der „Geschlechterkampf“ innerhalb der Kirche ein anderer als außerhalb?

Mit der Einführung der Frauenordination und der darauffolgenden Neufassung des Pfarrergesetzes wurde eine rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern im Pfarramt erreicht. Doch wie wird seitdem die Gleichstellung praktiziert? „Wie in allen Gemeinden der Heiligen sollen die Frauen schweigen in den Gemeindeversammlungen“ (1 Kor 14,33 34). Kann dieses über Jahrhunderte gepredigte und internalisierte Frauenbild innerhalb von 50 Jahren vollständig verändert werden?

Personalisierte Geschichte und partizipative Elemente Zur Veranschaulichung der Stationen auf dem Weg zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Landeskirche sollen zusätzlich zu den Ausstellungstexten, die eine strukturgeschichtliche Orientierung liefern, Protagonistinnen und Protagonisten der einzelnen Zeitabschnitte exemplarisch selbst zu Wort kommen. Ihre Biographien sollen aufzeigen, wie Frauen im Raum der Landeskirche gewirkt haben und ob sie kirchliche und gesellschaftliche Veränderungsprozesse beeinflussen konnten. Diese Personalisierung ermöglicht über eine Darstellung des (religiösen) Alltags und der jeweiligen besonderen Herausforderungen den BesucherInnen verschiedene Anknüpfungspunkte an die eigene Person.

Um der Frage nachzugehen, ob die Gleichberechtigung der Frauen im geistlichen Amt in der Landeskirche als Erfolgsgeschichte zu betrachten ist, oder ob die nach wie vor bestehenden Widerstände und überkommenen Rollenbilder überwiegen, erging ein Aufruf an alle Pfarrerlnnen der Landeskirche, sich mit ihrer eigenen Geschichte und ihren eigenen Erlebnissen in die Ausstellung einzubringen. Durch dieses partizipative Element wird mit der klassisch- wissenschaftlichen Erarbeitung des Themas gebrochen und die Akteurinnen bringen als Expertinnen ihr Erfahrungswissen in die Ausstellung ein. So können die BesucherInnen einen ganz persönlichen Einblick in den Beruf(ung)salltag bekommen und an den freudigen und schmerzlichen Erfahrungen auch auf einer emotionalen Ebene teilhaben.

Anhand ganz konkreter Beispiele können sie so selbst der Frage nachgehen, ob die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Kirche und darüber hinaus als ein stets zu erneuernder Prozess betrachtet werden muss. Im Anschluss an den Ausstellungsbesuch haben Besucher die Möglichkeit, im Martin- Luther-Haus Kaffee zu trinken und sich auszutauschen oder aber in einer eigens für die Ausstellung eingerichteten Leseecke Platz zu nehmen.red