„Friedfertigkeit beginnt bei jeder und jedem Einzelnen von uns“

Bad Gandersheims Bürgermeisterin Franziska Schwarz bei der Gedenkfeier zum Volkstrauertag

Geschützt durch Regenschirme verfolgten die Einwohner von Bad Gandersheim die Gedenkrede von Bürgermeisterin Franziska Schwarz und den Beitrag von Maxim Seehagen und Lea Sophie Bey.

Bad Gandersheim. In einer beeindruckenden Rede hat Bad Gandersheim Bürgermeisterin Franziska Schwarz am gestrigen Volkstrauertag an die Bedeutung des Gedenkens der Toten beider Weltkriege auch in der heutigen Zeit erinnert.

Bei strömendem Regen dankte sie eingangs den Schülerinnen und Schülern des Roswitha-Gymnasium, den Vereinen und Verbänden, der Freiwilligen Feuerwehr, den Mitarbeitern des städtischen Bauhofes sowie dem Posaunenchor der ev. Stiftskirchengemeinde unter der Leitung von Katharina Mazurek-Swidereck für die Mitgestaltung der Gedenkstunde.

Das Gedenken an die Opfer der Kriege, der Gewalt, des Terrors und der Vertreibungen und die Erinnerung an das bitterste Kapital deutsche Geschichte bedeute weitaus mehr als eine Tradition. Man sehe im Gedenken eine menschliche Verpflichtung.

Manche bezweifelten heute den Sinn des Volkstrauertages, manche lehnten ihn sogar ab und andere meinten, er sei nur ein Ritual oder eine Alibiveranstaltung. Diese Gefahr bestehe sicher, betonte die Bürgermeisterin, denn der Volkstrauertag sei ein schwieriger „Feiertag“, ihn zu begehen falle uns nicht leicht. Der Volkstrauertag lege einen Finger in alte Wunden und erinnere an Schrecken und Fehler, die lange zurückliegen würden.

Bürgermeisterin Franziska Schwarz wörtlich weiter: „Diese Erinnerungen drohen - sieben Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg - immer mehr zu verblassen.“ „Weil die Toten schweigen, beginnt alles immer wieder von vorn“, schrieb der französische Philosoph Gabriel Marcel, der beide Weltkriege erlebt hatte und ein Vergessen befürchtete. Damit die Toten nicht schweigen, damit wir ihre Stimmen hören und ihre Mahnungen beherzigen, haben wir in Deutschland den Volkstrauertag geschaffen und halten an ihm fest.

Und auf die aktuelle Situation bezogen stellte sie fest: „Es gehört auch zum Volkstrauertag, daran zu erinnern, dass mitten unter uns immer noch unvorstellbar viele Opfer von Krieg und Gewalt leben. Dass viele Menschen noch heute still leiden, weil sie Schreckliches erlebt haben, weil sie misshandelt oder vertrieben wurden oder weil sie Angehörige verloren haben. Oder weil sie in den Kriegen der Gegenwart wie zum Beispiel in Afghanistan Entsetzliches erlebt haben.

Unter Krieg und Gewalt haben immer in erster Linie die Unschuldigen zu leiden, Frauen und Kinder, Alte und Schwache. Die Bildhauerin Käthe Kollwitz brachte das nach dem Ersten Weltkrieg auf den Punkt: „Die eigentlichen Verlierer der Kriege sind immer die Eltern, die Frauen, die Mütter.“ Und sie schuf ihnen mit ihrer Skulptur der trauernden Eltern und ihrer Pietà – zu sehen in Berlin - zwei der wenigen Mahnmale, die an diese Opfer der Kriege erinnern.

Auch heute noch...

Noch immer gehören für Millionen von Menschen Hass und Gewalt, Terror und Krieg zum Alltag: im Nahen Osten, in Afrika, in vielen anderen Regionen der Erde. Wie viele Kinder und Jugendliche, ganze Generationen sind davon betroffen! Zu jedem einzelnen Opfer gehören eine Familie und Freunde, die mitbetroffen sind. Am Volkstrauertag erinnern wir auch an die Opfer von heute, wir blicken auch auf unsere Zeit.“

Es sei ein Geschenk, dass wir in unserem Land auf eine lange Friedenszeit zurückblicken könnten. In Europa sei es in den letzten Jahrzehnten zu einem großen, friedlichen Vereinigungsprozess zwischen den Nationen gekommen. Dazu kämen auch die Aufhebung des „Eisernen Vorhanges“ und die neuen grenzüberschreitenden Möglichkeiten. Aber ausgerechnet diese Errungenschaften würden heute von einigen Gruppen und führenden Politikern wieder in Frage gestellt. Demokratie, Freiheit und die Achtung der Grundrechte und der Frieden seien eben keine Selbstverständlichkeiten. Sie müssten stetig neu errungen werden. „Tatsächlich schlummern Gefährdungen des Friedens oft schon in vielen alltäglichen Gewohnheiten, in vielem, dem wir nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenken.

Denken wir an brutale Achtlosigkeit im Umgang mit der Natur und Kreatur; an Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr; an Gewalt in den Familien, gegen Frauen und Kinder, auch gegen alte und pflegebedürftige Menschen. Friedfertigkeit beginnt bei jeder und jedem Einzelnen von uns. Wenn wir den anderen als Person achten und ihm mit Respekt begegnen, dann tun wir etwas für den Frieden in unserem Umfeld, so die Bürgermeisterin.

Nach den Kranzniederlegungen beendete die vom Posaunenchor gespielte Nationalhymne die Feierstunde.