Gestern irgendwo – heute bei uns: Lokaler Sturzregen mit Überflutungen

Ein fast dreistündiges Dauergewitter über der Heberbörde sorgt für Verhältnisse wie im Juli 2016

Wasser, soweit das Auge reicht: Wo sonst Trecker und Pkw die Ortsdurchfahrt Altgandersheims befahren – hier vom Abzweig nach Helmscherode in einem Panorama festgehalten – stand alles unter Wasser. Stundenlang war die gesamte Ortsdurchfahrt nicht befahrbar, während Gebäude zu beiden Seiten vollgelaufene Keller erlitten und weitere Schäden durch einströmende Fluten verursacht wurden.

Bad Gandersheim. Es waren Bilder wie aus der Tagesschau oder Internet-Wetterseiten. Doch die kennen wir in der Regel nur aus anderen, oft weit entfernten Orten. Die aber auch nicht anders sind, als ein Altgandersheim, ein Gremsheim oder ein Ackenhausen. Und genau die meinte das Dauergewitter vom Dienstagnachmittag diesmal fluten zu wollen. Mit erschütterndem Erfolg und katastrophalen Konsequenzen. Doch nicht nur die drei genannten Ortschaften waren betroffen, sondern auch Gehrenrode und Helmscherode sowie mit großen Abstrichen umliegende Dörfer.

Unglaublich, wenn man es nicht selbst gesehen hat, die Szenen, die sich in der Heberbörde abspielten. Zuerst der Regen: Der begann vom Harzrand emporquellend in Richtung Nordwesten zu ziehen. Fast drei Stunden lang immer schön entlang der Heberwestflanke. Es habe zeitweilig „geschüttet wie aus Eimern“ berichteten Einwohner von Altgandersheim und Ackenhausen dem GK vor Ort. Schon das machte ein mulmiges Gefühl, Angst aber erst recht die enorme Ausdauer der Gewitterzelle.

Und genau die sorgte dann für die Überflutungsfolgen. Irgendwann konnten die Gräben das Wasser nicht mehr fassen, war der Feldboden gesättigt, sodass die Wassermassen den Weg auf Straßen und gepflasterte Flächen fanden.

In Helmscherode bildete sich ein Fluss von der früheren Domäne an der Kirche vorbei auf die Hauptstraße. Im Unterdorf um das Trinkwasserhäuschen bildete sich ein Stau mit bis zu fast einem Meter Tiefe. Stauend wirkte ein Gehöft, durch dessen Scheune und Keller das Wasser auf der anderen Seite wieder herausströmte, um sich dann auf die Talreise nach Altgandersheim zu machen.

Was hier wie von Gehrenrode aus, wo die Gande längst über die Ufer getreten war und eine weite Seenlandschaft hinter den Talgehöften gebildet hatte, rasch zu Sturzbächen in den Gräben und breiten Wasserübertritten über die Verbindungsstraßen führte.

Dass die Lage auf dem Berge nicht vor Wasser und Schäden schützt, mussten die Gremsheimer erfahren. Hier kamen aus den noch höher gelegenen Bereichen die Wassermassen ebenfalls meistens über die Straßen durch das Dorf, fluteten neben Kellern unter anderem auch den Kindergarten und sorgten sogar dafür, dass eine Scheune wegen Einsturzgefahr weiträumig gesichert werden musste.

Sammelpunkt von allen Seiten war Altgandersheim. Hier stand bereits nach 17 Uhr das Wasser hoch, bis 18 Uhr dann die gesamte Durchfahrtsstraße unter Wasser. Im Höhepunkt waren Bereich zwischen fast dem Café Hof, dessen Gartenfläche weiträumiger Wasser führte als der Kurhausteich, bis zur Turnermusikakadmie auf der einen Seite und nahe der Kirche alles unter Wasser. Teils bis zu einem Meter hoch und in den Kellern der anliegenden Häuser und Gehöfte noch viel tiefer.

„Waschmaschine, Trockner, Heizung, im Keller gelagerte Gerätschaften, alles hin“, konnte eine Anliegerin es gar nicht fassen, was sich da in weniger als zwei Stunden ereignete. Zudem fiel in Altgandersheim weiträumig der Strom aus. Selbst helfen durch Pumpen ging damit ebensowenig, wie die Feuerwehr nicht darauf zurückgreifen und selbst erst Generatoren heranführen musste. Schnell war auch das Technische Hilfswerk in Alarm versetzt und zugezogen. Und doch blieb in den meisten Fällen nicht viel mehr, als endlich auf ein Fallen des Pegels zu warten.

Wieder betroffen, wie schon 2016 im Juli, war Ackenhausen. Die Wassermassen suchten sich erneut einen Weg vom Zwetschenberg durch ein Gehöft hangabwärts. Dort setzten sie die westliche Dorf-Hauptstraße komplett unter Wasser und sammelten sich erneut in einem in der Kurve anliegenden Gehöft. Zeitweilig war die Straße ein reißender Sturzbach. Die räumlichen Auswirkungen wie 2016 hatten die Überflutungen aber diesmal für Ackenhausen nicht. Gleichwohl gab es bis tief in die Nacht zu tun, um nach dem Schlammchaos schnell wieder Ordnung zu schaffen.

Was mit der Hilfe zahlreicher Feuerwehrmitglieder aus allen möglichen Ortswehren geschah. Hoch bemerkens- und ebenso ausdrücklich hervorhebenswert aber die große dörfliche Gemeinschaft, die in einer ungeheuren nachbarschaftlichen Hilfe zum Ausdruck kam.

Das galt ebenso für Altgandersheim, wo die Durchgangsstraße nach 23 Uhr wieder völlig wasserfrei war, aber ein Chaos aus Schlamm, Sand und Kies. Stundenlang hatten Einsatzkräfte zu den Zeiten des hohen Pegels bestimmte Bereiche gar nicht erreichen können, Gremsheim galt – mit Ausnahme von Zuwegungen über Feldwege – als abgeschnitten.

Bemerkenswert war angesichts der Ausmaße der Katastrophe die Ruhe, mit der sowohl Retter als auch Einwohner an die Bewältigung des Unausweichlichen gingen. Kreisbrandmeister Bernd Kühle zeigte sich gegenüber dem GK geschockt über dieses Ausmaß: „Wir gehen davon aus, dass es hier einen Millionenschaden gegeben hat“, sagte er zu später Stunde in Altgandersheim vor dem Hintergrund einer gespenstischen Szenerie: Der Ort lag völlig im Dunkel, nur stellenweise ausgeleuchtet durch die Einsatzkräfte.

Helles Licht auch an der Turner-Musik-Akademie. Deren gesamten Keller hatte die Gande geflutet, bis knapp unter die Decke schwammen Matratzen und Bettenteile in den braunen Fluten. Wegen der gigantischen Aufgabe, hier rund zwei Millionen Liter Dreckwasser abpumpen zu müssen, war die Berufsfeuerwehr Göttingen hinzugezogen worden, die über eine besonders leistungsstarke Pumpe verfügt. Und selbst die, sagte der örtliche Einsatzleiter, werde wohl bis weit in den Mittwoch brauchen, um alles Wasser wieder hinauszubefördern. Über die Höhe des Schadens konnte sich am Dienstag zur Mitternacht noch niemand eine Vorstellung machen.

Noch während die Aufräumarbeiten in den betroffenen Dörfern liefen, zuckten wieder grelle Blitze über den Nachthimmel. Doch diesmal schüttete es anderswo, die Region bekam nachts nur noch einmal Nieselregen ab.

Entgegen der Erwartungen gelang es der Avacon, die Energieversorgung in Altgandersheim bereits im Laufe der Nacht wieder herzustellen. Um die 2 Uhr sei der Strom wohl wieder da gewesen, berichtete eine Altgandersheimerin. Die zahlreichen Rettungskräfte der Feuerwehren, des THW und des Roten Kreuzes arbeiteten bis in die frühen Morgenstunden durch, bevor dann frische Kräfte zur Ablösung herangezogen wurden. Inzwischen sind auch andere Feuerwehren aus dem Umland in der Heberbörde im Einsatz. Zu ihren Aufgaben gehört unter anderem, in leerstehenden oder schwer geschädigten Gebäuden nachzuschauen, ob es zum Beispiel auslaufendes Heizöl oder andere Problemlagen zu lösen gibt. Darüber hinaus wird die Infrastruktur wiederhergestellt.

Und über all dem schwebte am Mittwoch auch gleich wieder die Angst eines Tages, für den zum Nachmittag und Abend erneut schwere Gewitter auch in Südniedersachsen angekündigt waren. Es passiert jeden Tag – diesmal an einem anderen Ort?