2020 wird alles noch besser...?!

Gedanken zum Abschluss des Jahres 2019 und vor dem Wechsel ins dritte Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts

Zwei Beispiele für Veränderungen: Ein Eigentümerwechsel führte 2019 zum Abzug von TEDI...

Bad Gandersheim. Es war das Heute-Journal am Sonntagabend, in dem Klaus Kleber sagte, den Menschen heute falle es offenbar schwer, gute Nachrichten noch richtig wahrzunehmen. Dazu gehöre, so Kleber weiter, dass 2019 das wohl nachweislich beste Jahr gewesen sei, dass die Menschheit bisher erleben durfte. Neben anderen Indikatoren führte der ZDF-Nachrichtenmoderator dafür als Indiz an, dass nur noch rund zehn Prozent der Menschen weltweit in lebensbedrohlicher Armut leben. 1980 seien dies noch 40 Prozent gewesen.

Kleber sprach mit dieser Feststellung ein Grundgefühl an, das wir alle vermutlich gut aus unserer eigenen Umgebung kennen: den allgemein zunehmenden Skeptizismus und Pessismismus. Gefühlt wird für viele Menschen alles schlechter – obwohl es objektiv eben eigentlich gar nicht so ist. Haben wir verlernt, die guten Nachrichten noch entsprechend wahrzunehmen? Gewichten wir vielleicht einfach falsch?

2019 ist auch für die Stadt Bad Gandersheim und ihre Umgebung in der Summe ohne Zweifel ein gutes Jahr gewesen. Zu den Umständen, die eine solche Einschätzung tragen, gehört zum Beispiel ein sanierter Stadthaushalt. Noch vor ein paar Jahren war die Stadt vornehmlich mit dem Abbau ihrer Schulden beschäftigt, waren Investitionen nur in sehr geringem Maße möglich. Diese harte Zeit ist längst durchgestanden.

Der Etat ist – von einem Teil sogenannter rentierlicher Schulden wie im Abwasserbereich zum Beispiel einmal abgesehen, die wir als Gebührenzahler aber selbst stetig abtragen – entschuldet. Seit Jahren bereits macht der Stadthaushalt jährlich Überschüsse, die neben der Entschuldung auch in eine steigende Investitionstätigkeit fließen. Die Summen im Haushalt sind stetig angestiegen – und doch entsteht zumeist ein allgemeiner Eindruck der Unzufriedenheit, weil die Begehrlichkeiten immer größer sind als die Möglichkeiten. Das mindert den Wert der guten Nachricht.

Der Effekt ist vielfach auch bekannt als „das Glas ist halb leer“. Der Blick geht eher auf die Negativseite – und vernachlässigt dabei, was alles an Gutem geschah. Darunter leiden auch die allgemeine Zufriedenheit und Dankbarkeit gegenüber aktuellen Umständen.

Grund dazu hätten wir Menschen in Bad Gandersheim allemal. Wir leben nach wie vor in einer Stadt, die gemessen an ihrer Größe und im Vergleich mit gleich großen anderen Städten Überdurchschnittliches zu bieten hat: Ein Krankenhaus, alle Schulformen, eine vielfältige Infrastruktur für alles, was man zum Leben braucht, und nicht zuletzt auch Betriebe, die eine Menge an Arbeitsplätzen am Ort bieten. Allesamt Gründe, um dankbar zu sein.

Denn wir wissen doch, dass der Wandel das beständigste ist. Genau der aber behagt den Menschen wenig. Wandel bedeutet Verunsicherung, wir wünschen uns innerlich statt dessen, dass alles bleiben möge, wie es gerade ist. Was es niemals tut, denn alles ist immer in Bewegung, Entwicklungen, Abläufen, die zu Veränderungen und Wandel führen.

Blicken wir auf die Geschäftswelt der Roswithastadt, die auch im Jahr 2019 wieder deutliche Veränderungen durchleben musste. Lange schon ist eine Entwicklung im Gange, die von den Menschen nicht wirklich verstanden und erst recht nicht akzeptiert wird: Den Einzelhandel, den viele von uns kannten oder wie es ihn aktuell noch gibt, werden wir in zehn oder 20 Jahren so nicht mehr kennen.

Dabei sind wir selbst der Motor dieser Entwicklung. Seit Firmen erkannt haben, dass größer auch billiger und besser bedeutet, arbeitet das Große gegen das Kleine. Discountermärkte haben den Einzelhandel verdrängt. Der aufstrebende Internethandel tut sein Übriges dazu. Und die Kunden haben längst mit Füßen und Mausklick abgestimmt, wohin der Weg der Zukunft geht.

Warum also das Wehklagen und Weltuntergangsgejammer, wenn ein Bäcker entscheidet, dass es für ihn besser ist, eine 150 Jahre lange Familientradition aufzugeben und statt enormen Zeit- und Arbeitseinsatzes lieber einer geregelten Anstellung mit vielen weiteren Vorteilen nachzugehen? Und wer will es einem Buchbinder verübeln, dass er nach vielen Jahrzehnten aus Altersgründen, aber auch, weil seine Dienste heute lange nicht mehr so in Anspruch genommen werden, wie es einmal war, in Ruhestand geht. Dass sein Geschäft mangels Nachfolge geschlossen wird, ist der Weg, denn viele Unternehmungen in den Jahrhunderten davor in Bad Gandersheim auch schon genommen haben.

Eine Apotheke hat die Stadt in diesem Jahr verloren. Traurig daran ist am ehesten, dass sie die mit der längsten Tradition war. Unterversorgt ist Bad Gandersheim durch die Schließung aber keinesfalls, im Gegenteil, drei Apotheken bedeuteten bis dahin eine statistische Überversorgung. Die „Bereinigung“ also eher so etwas wie ein natürlicher Marktprozess – auch, wenn die Gründe in diesem Fall nicht primär wirtschaftliche waren.

Marktwirtschaftliche hingegen sorgten für den Verlust eines Geschäftes in der Moritzstraße. Aber nicht etwa aufgrund eventuell zu niedriger Umsatzzahlen, sondern wegen des freien Willens, den Immobilienbesitzer in diesem Lande haben. Dazu gehört auch die Freiheit, eigene Vorstellungen zu haben, was Nutzung oder Miethöhen zum Beispiel betrifft. Was unter Umständen dann aber zu unerwünschten Effekten wie dem hier erfolgten Rückzug eines Unternehmens führt, das leider kurzfristig keine geeignete Alternative in der Roswithastadt finden konnte, um bleiben zu können.

Das Bild der Stadt befindet sich seit drei bis vier Jahrzehnten in stetigem Wandel. Darauf hat der als Citymanager beauftragte Alexander Rudnick in klaren Worten hingewiesen. Der Einzelhandel habe seine Blütezeit in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts erlebt. Danach setzte der bereits beschriebene Wandel ein, der bis heute anhält. Für Innenstädte – nicht nur die Bad Gandersheims – bedeutet dies: Kleine Geschäfte und Einzelanbieter von Warensegmenten werden auch weiter verschwinden. Rudnick hatte dabei auch versucht, deutlich zu machen, dass seine Aufgabe nicht sei, leer stehende Geschäfte wieder mit neuen Anbietern zu beleben.

Den Wandel zu verstehen und ihn zu akzeptieren heiße in diesem Fall, Bad Gandersheims Innenstadtstraßen nicht mehr mit „Einkaufsmeilen“ zu verstehen, sondern ungenutzte frühere Geschäftsräume in neue Nutzungen zu überführen: Wohnraum, Büros für Dienstleistungen, attraktive Gastronomieangebote. Nur eben keine Läden mehr.

Bad Gandersheim als Unterzentrum wird sich zu einem Ort entwickeln, in dem Geschäftsmodelle nur dann noch eine Chance haben, wenn sie etwas mit der Deckung von Grundbedürfnissen zu tun haben. Dingen, die wir eben nicht nur alle Jahre mal, sondern täglich oder mindestens wöchentlich mal benötigen.

Den Großteil davon decken bereits heute die vier großen Discountmärkte, um den Rest kümmern sich weitere Märkte an der Neuen Straße, in der Moritzstraße und die noch verbliebenen Einzelhandelsgeschäfte. In der Summe gilt auch hier: Es gibt in Bad Gandersheim eigentlich alles, was man täglich braucht. Und nein, dazu gehören nicht unbedingt die Dinge, die zum Beispiel ein Baumarkt vorhält.

Natürlich ist trotzdem nicht alles schön. Schwer ist zunehmend, einen Handwerker zu finden. Wartezeiten sind heute angesichts ausgelasteter Auftragsbücher die Regel. Und kürzlich stand sogar im GK, dass für die Zukunft zu befürchten stehe, der Klempner werde wegen eines einzelnen Wasserhahnes nicht mehr zum Kunden kommen, da müsse schon was Größeres sein.

Auch in diesem Bereich sind wir aber selber schuld an einem Wandel, der nun Probleme beschert. Handwerk hat goldenen Boden – hieß es dereinst, und das wird wohl erst Recht wieder in Zukunft gelten. Zwischenzeitlich aber hatte das Handwerk seine Attraktivität vor allem für die potenziellen Berufseinsteiger weitgehend verloren. Die strebten lieber andere Berufe an. Handwerk galt eher als verstaubt, viel zu anstrengend, nicht lohnend. Die nicht ausreichenden Bemühungen, diesem Trend entgegenzuwirken, sorgen nun für Veränderungen, deren Folgen es in den kommenden Jahren zu bewältigen gilt.

Und trotzdem gilt auch hier, dass sich der Bad Gandersheimer mit der Versorgung durch lokale Handwerksbetriebe noch glücklich schätzen kann. Die Lage in größeren deutschen Städten ist jetzt bereits entschieden dramatischer.

In allen Zeiten hat es immer Menschen gegeben, die Chancen erkannt und ergriffen haben. Sie hatten den Mut, ins Risiko zu gehen, eine Unternehmung zu starten. Manche mussten bald oder etwas später wieder aufgeben, andere haben es geschafft. Auch dafür gibt es genügend Beispiele in der Roswithastadt, die für positiven Wandel sorgten. Wie ein blühendes Imbissgeschäft neben der katholischen Kirche. Da es dort auch vorher schon etwas ähnliches gab, muss der Geschäftserfolg offenbar mit der Geschäftsidee und -ausführung zu tun haben; oder Eis-Cafés, ob im Plangarten oder an der Füllekuhle, die offensichtlich genau den Bedarf treffen. Mutige Investoren, die das Heft des Handelns in die Hand nehmen, wie der Betreiber eines Fitness-Studios, das im kommenden Jahr an neuer Stelle größer und leistungsfähiger neu erstehen soll.

Warum wir Angst haben

Soziologen und Psychologen kennen das Problem: Je besser es einer Gesellschaft oder einzelnen Menschen geht, desto größer werden gleichzeitig die Verlustängste. Was nahe liegt: Wer viel hat, hat ja auch viel zu verlieren. Wer viel hat, verliert auch oft den Antrieb, besser zu werden, konzentriert sich statt dessen darauf, den Besitzstand zu wahren. Da werden dann selbst unbeeinflussbare externe Entwicklungen wie ein demografischer Bevölkerungsschwund zur persönlichen Gefahr. Weil damit der Standort Bad Gandersheim in Gefahr gesehen wird, die Lebensqualität gefühlt bedroht ist und andere Sorgen mehr damit verknüpft werden. Obwohl rein faktisch nichts von dem der Fall ist.

Womit wir wieder bei den guten Nachrichten sind, die als solche nicht mehr richtig wahrgenommen werden. Das Klagegejammer über die sinkende Einwohnerzahl Bad Gandersheims blendet aus, dass sich auf der anderen Seite – bei den Geburten nämlich – etwas unvorhersehbar verändert hat. Die Zahlen sind in unerwarteter Form gestiegen!

Ausdruck findet das in der plötzlichen Umkehr eines Wandels bei den Kindertagesstätten. Die waren jahrelang auf dem Rückzug. Gruppen wurden aufgelöst, weitere Einschnitte waren geplant. Dann kamen urplötzlich mehr Kinder. Und da die Planungsvorlaufzeit heute aufgrund des Anspruchs auf einen Krippenplatz nicht einmal mehr die kindergarten-üblichen drei Jahre beträgt, sah sich die Stadt plötzlich sogar zu bis dahin undenkbaren Schritten genötigt, wie ausreichend Plätze durch den Bau eines Container-Kindergartens sicherzustellen.

Die Folgen dieses Wandels werden noch bis weit in die nächsten Jahrzehnte reichen. Wo mehr Kinder sind, verändert sich auch die bislang auf der Basis früherer Zahlen prognostizierte demografische Entwicklung und sieht bald schon vielleicht gar nicht mehr so düster für Bad Gandersheim aus, wie viele sie gern zeichnen.

Zudem bietet jeder Wandel auch die Chance, etwas anders oder neu zu machen. Diese Chance hat auch die Stadt Bad Gandersheim mit all ihren Menschen jedes Jahr aufs Neue. Auf der Basis und Erkenntnis, dass es den Menschen im Jahre 2019 mit wenigen Ausnahmen ziemlich gut gegangen ist, sollte genug Platz für Hoffnungen, Mut, Visionen, Unternehmergeist und den Elan geben, die Herausforderungen des ständigen Wandels anzupacken und die Dinge, die uns noch nicht gut genug sind, besser zu machen. Bislang ist das der Menschheit in den vergangenen Jahrhunderten kontinuierlich gelungen. Warum nicht auch Bad Gandersheim im Jahre 2020 wieder?rah