Kirche geht neue Wege: Moderner Gottesdienst mit Unterstützung

Domfestspiele engagieren sich bereits zum dritten Mal bei einem „Neuland-Gottesdienst“

Die Geschichte des Zachäus las Schauspieler Jan Kämmerer. Sie nahm dabei in seiner Version eine seltsam anmutende Wendung...

Bad Gandersheim. Der Theatergottesdienst am Tag des Theaterfestes sollte nur der Auftakt gewesen sein. Pfarrer Thomas Ehgart hat sich zum Ziel gesetzt, die Zusammenarbeit mit den Domfestspielen in der Kirche auszuweiten, und so beteiligten sich am Sonntag erneut zwei Mitglieder des Ensembles an einem sogenannten „Neuland“-Gottesdienst. Damit sind in diesem Jahr bereits zum dritten Mal Schauspieler an Gottesdiensten beteiligt gewesen.

Der trägt diesen Namen sicher unter anderem deswegen, weil er von der gewohnten Liturgie und manch tradierter Kirchengewohnheit abweicht, eben Neuland beschreiten soll. Was auf die Besucher unterschiedliche Wirkung hat, wie auf Nachfrage zu erfahren war.

Da gebe es, so hieß es am Sonntag, – vor allem ältere – Kirchgänger, die man in diesem Gottesdienst dann nicht sehe. Auf der anderen Seite erfuhr der Gottesdienst am Sonntag aber einen stärkeren Besuch als „normale“ Gottesdienste, was auch dem Interesse von Besuchern zu verdanken sei, die ansonsten eher selten den Weg in die Kirche fänden, denen die Neuland-Gottesdienste aber eine Möglichkeit geben, Kirche anders und neu zu erleben.

Im Mittelpunkt stand gestern die Geschichte des Zöllners Zachäus. Doch noch bevor Jan Kämmerer sie las, bat Pfarrer Thomas Ehgart die Anwesenden zu einem Experiment: Man möge sich vor dem geistigen Auge eine Muslima vorstellen. Welches Bild entstehe dann?, war die Frage.

Ehgarts Antwort lautete: In der Regel das einer Kopftuch tragenden Frau, die als Anhängsel ihres Mannes einige Meter hinter diesem hertrotten dürfe. Eher selten das einer emanzipierten Frau, die als Rechtsanwältin Menschenrechte durchsetze oder als Fotografin Mode in Bilder bringe. Obwohl genau dies auch einer Muslima möglich ist und von solchen ausgeübt werde.

Die Hinführung des Experimentes galt dem Erkennen, dass wir Vorurteile mit uns herumtragen, selbst wenn wir das gar nicht wollen. Das sei normal, weil evolutionär, so Ehgart weiter. Worum es aber gehen müsse, sei, solche Vorurteile immer wieder aufzubrechen.

Die Lesung der Geschichte des Zachäus durch Jan Kämmerer wandelte dann den Ursprungs-Text ein wenig ab, so dass Gott in den Mund gelegt wurde, es ziehe ihn eher zu den Reichen hin. Das musste eigentlich schon beim Zuhören stutzen lassen.

Wirklich? Wäre das so, dass, wenn Gott nach Bad Gandersheim käme, er lieber zu den reichen Porschefahrern einkehren wolle, weil ihm das andere zu ärmlich sei? Ist es aber nicht tatsächlich so, dass ein Denken aus Neid, Habgier und Vorurteilen genau dies nahelege. Ja, so laufe das doch, dächten heute viele. Warum nur?

Weil das eigene Ich eben gerne da hin gehe, wo es schön sei. Dabei spiele es uns aber einen Streich, so Ehgart weiter, denn dort, wo sich das innere Ich, diese Instanz, die wir gerne annehmen, wenn wir zum Beispiel einen Roman lesen, gern sehen würde, stehe es im Leben in der Regel genau nicht.  Statt dessen fänden wir uns bei denen wieder, die Bedenken und Vorurteile hätten und auch mal über andere lästertern.

„Wir stecken in Schubladen, die unser Denken eingrenzen. Und genau dort müssen wir wieder heraus und die Dinge und Horizonte dieser Welt neu sehen“, so Ehgart weiter. Heil widerfahre uns, wenn wir unsere Denkmuster aufbrächen und aus dem „Denkgefängnis“ herauskommen. Jeder könne etwas verändern, wenn er bereit sei, auf andere zuzugehen.

Zweiter Mitwirkender der Domfestspiele im Neuland-Gottesdienst war „Glöckner Hermann Bedke. Dies mit seiner Fähigkeit, Geige zu spielen, wovon er zusammen mit Stiftskirchenkantor Andrej Naumovich am Klavier als musikalische Begleitung zum Abendmahl Gebrauch machte. Auch das Liedgut in diesem Gottesdienst war modern gehalten, in den Texten ans Thema angelehnt.

In Zukunft soll es verstärkt neue und moderne Formate im Gottesdienst geben, um mehr Menschen zu erreichen und die Predigten lebendig und aktuell zu gestalten, erklärte Pfarrer Thomas Ehgart: „Wir haben uns intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und uns gefragt: Wen sprechen wir an und wer findet keinen Zugang zur herkömmlichen Form des Gottesdienstes? Deshalb bemühen wir uns im Pfarrteam und in der Gemeinde, die Gottesdienste immer weiter zu öffnen und aktueller Musik, Kultur und Theater einen Platz zu geben. So haben die Menschen mehr das Gefühl, ihr Leben und ihre Themen auch in der Kirche wiederzufinden.“

Offenbar mit Erfolg: „Es finden zunehmend Besucher ihren Weg in die Kirche, die sonst nicht kommen. Zum Beispiel nehmen immer mehr Eltern von Konfirmanden auch an den Gottesdiensten teil, anstatt ihre Kinder nur an der Kirche abzusetzen. Und hinterher sagen sie am Ausgang: Das war toll!“, freut sich Pfarrer Ehgart.

Diesmal allerdings waren die Konfirmanden – und vermutlich auch deren Eltern – nicht so zahlreich dabei, weil die meisten gerade im Konfirmanden-Ferienseminar in Südtirol weilen. Ihr Fehlen fiel aber aufgrund des trotzdem guten Besuches kaum auf.rah