Landgericht spricht das Urteil

Maßregelvollzug in psychiatrischer Einrichtung bestätigt / Lockerungen erst nach Fortschritten möglich

Für diesen Einsatz in der Ludolfstraße war der Angeklagte verantwortlich: Er hatte in seiner Wohnung im Bad und Schlafzimmer Feuer gelegt.

Bad Gandersheim. Es hätte alles ganz schnell gehen können am letzten Verhandlungstag gegen einen jungen Mann, dem aus dem Jahre 2017 zwei Taten in Bad Gandersheim zur Last gelegt wurden, für die er sich jetzt vor dem Landgericht in Braunschweig verantworten musste. Dabei ging es allerdings nicht um die Frage, welche Strafe ausgesprochen werden sollte, sondern wie dem psychisch erkrankten Mann am besten geholfen werden könne. Zwei Verhandlungstage hatte das Gericht bereits absolviert, die Beweisaufnahme war abgeschlossen, und am vergangenen Donnerstag wollte das Gericht nun ein Urteil sprechen.
Bevor jedoch Staatsanwalt und Verteidiger ihre Plädoyers halten konnten, überraschte der Verteidiger des Beschuldigten das Gericht mit einem Beweisantrag. Dessen Ziel war die genauere Aufklärung der Brandlegung, die der Beschuldigte im August 2017 in seiner Wohnung in der Ludolfstraße vorgenommen hatte. Während der Beweisaufnahme konnte nicht endgültig geklärt werden, an wie viel Stellen es gebrannt hatte. Die Aussagen des Beschuldigten deckten sich nicht in allen Einzelheiten mit den Erkenntnissen der später am Brandort ermittelnden Polizei.

Für den Verteidiger bedeutsam war an dieser Stelle, dass für seinen Mandanten die Folgen im Urteil geringer ausfallen könnten, wenn der Beweisantrag ergebe, dass der Beschuldigte eine zu größerem Schaden untaugliche Brandlegung vorgenommen habe. Zwar widersprach der Staatsanwalt diesem Ansinnen unter Hinweis darauf, dass es unerheblich sei, ob durch die Brandlegung tatsächlich größerer Schaden entstanden sei, was mit einer monatelangen Nichtnutzbarkeit der Wohnung ohnehin eingetreten sei. Ausschlaggebend sei, was aus dem Brand hätte entstehen können.

Trotzdem hatte das Gericht den Beweisantrag zu beraten, und sah sich nach einer halbstündigen Pause nicht in der Lage, dem ausreichend damit Genüge getan zu haben. So wurde die Verhandlung relativ bald für fast vier Stunden unterbrochen und erst zur Mittagszeit fortgesetzt.

Im Ergebnis lehnte das Gericht den Beweisantrag ab. Dies unter der Begründung, die Umstände einer schweren Brandstiftung würden im vorliegenden Falle erfüllt. Der Beschuldigte habe – dies auch unter Anwendung von Brandbeschleuniger – vorsätzlich einen Brand gelegt. Dabei müsse er auch in Kauf nehmen, dass daraus Weiterungen entstünden, die er nicht mehr unter Kontrolle habe, was im vorliegenden Falle ja auch geschehen sei. Der Mann musste die Wohnung wegen Verqualmung und Hitzeentwicklung verlassen.

Im folgenden Plädoyer des Staatsanwalts stand für diesen fest, der Beschuldigte habe die Taten in einem Zustand der Schuldunfähigkeit begangen. Er habe sich jeweils in einem Zustand akuter psychischer Dekompensation befunden. Entsprechend habe die Reaktion des Gerichtes auszufallen. In der Summe der aus der Beweisaufnahme und insbesondere den Aussagen des Gutachters zu entnehmenden Fakten sei die derzeit geschlossene stationäre Unterbringung die einzig richtige Maßnahme. In der Folge daraus beantragte der Staatsanwalt die Aufrechterhaltung der Sicherheitsunterbringung. Eine Lockerung, um ein eigenverantwortlicheres Leben zu führen, könne erst später erfolgen.

Auch der Verteidiger bemühte sich seinem Mandanten Wege zu eröffnen, die ihm helfen würden. Er legte einen Schwerpunkt seiner Ausführungen auf durchaus auch kritisch gemeinte Hinweise, dass der Beschuldigte frühzeitig um Hilfe gebeten habe, damit so etwas nicht hätte passieren müssen. Auch die Eltern, die am vergangenen Donnerstag wieder persönlich der Verhandlung beiwohnten, hätten sich intensiv um Lösungen für den Adoptivsohn bemüht.

Dies ist ihnen wie dem Beschuldigten allerdings immer wieder von diversen Entscheidungsträgern verweigert worden. Das zeige die Begrenzungen unseres Systems auf, präventiv solche Straftaten zu verhindern, so der Verteidiger.

Zur Einsichtsfähigkeit führte der Rechtsanwalt aus, sein Mandant handele vor allem durch Angst geprägt. Sein grundlegendes Verhalten sei weniger aggressiv gegen andere, statt dessen mehr durch Ausweichen und Fluchtverhalten gekennzeichnet. In der Frage des beim Brand unterstellten Vorsatzes stellte der Rechtsanwalt die Frage in den Raum, ob ein Mensch mit einer psychischen Erkrankung, wie sie bei seinem Mandanten vorliege, überhaupt einen solchen Vorsatz haben könne.

Abschließend stelle sich die Frage, was nun passieren müsse, damit nicht noch etwas Schlimmeres geschehe. Leider gebe es aus Göttingen, wo der junge Mann derzeit untergebracht ist, auch nach sechs Monaten noch keine klare Auskunft darüber, ob man aus dem Maßregelvollzug heraus markante Schritte anpeilen könnte. So bleibe auch ihm realistischerweise keine andere Wahl als eine Zuführung in den Maßregelvollzug zu beantragen, endete der Verteidiger.

Der Beschuldigte selbst bat in seinem persönlichen Schlusswort um eine Überstellung in die allgemeine Psychiatrie anstelle des Maßregelvollzugs, den er doch persönlich als sehr belastend empfinde.

Die dann erst am Nachmittag stattfindende Urteilsverkündung bestätigte schließlich die Aufrechterhaltung der Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung. Das heißt, der junge Mann wird weiter im Maßregelvollzug in Göttingen bleiben müssen.

Das Gericht sah alle Voraussetzungen für diese Anordnung gegeben. Eine Aussetzung des Maßregelvollzugs komme zurzeit nicht in Betracht. Den zu verhandelnden Taten liege eine schwere krankhafte Störung zugrunde, der junge Mann leide unter wahnhaften Wahrnehmungen der Realität. In der Prognose habe der Gutachter eine Wiederholungsgefahr für solche Taten ohne entsprechende Behandlung der Krankheit auf über 50 Prozent angesetzt, wobei eine Steigerung der Tatenschwere zu befürchten sei.

Eine Aussetzung des Maßregelvollzuges könne erfolgen, wenn die Umstände dies nahe legten und der Zweck des Maßregelvollzugs auch anders erreicht werden könne. Da der Beschuldigte aber in der Vergangenheit eigengesteuert seine Krankheit nicht im Griff hatte, gebe es dafür zurzeit keine Perspektive. Bei der Schwere der Erkrankung sei dies nun der erste Schritt, Lockerungen sind erst längerfristig nach weiteren Überprüfungen zu erwarten.

Gegen das Urteil kann Revision eingelegt werden, da aber beide Seiten, Staatsanwalt wie Verteidigung, im Grunde die gleichen Positionen hatten, ist von der Inanspruchnahme kaum auszugehen.

Warum es wichtig ist, auch über die Folgen von strafrechtlichen Vorkommnissen zu berichten

Warum berichtet das Gandersheimer Kreisblatt über eine Verhandlung des Landgerichtes gegen einen Menschen mit einer psychischen Erkrankung? Diese Frage ist an das GK gerichtet worden.

Grundsätzlich bestimmt das Gesetz Schutzwürdigkeiten, bei denen dann die Öffentlichkeit zum Beispiel von Verhandlungen ausgeschlossen wird, um Opfer, aber manchmal auch die Täter vor späteren Folgen zu schützen.

Die Verhandlungen gegen den jungen Mann in Braunschweig waren hingegen öffentlich und es gab auch Zuschauer im Gerichtssaal. Zu beachten waren damit nur die üblichen Schutzumstände, wie zum Beispiel keine Klarnamennennung.

Das besondere Interesse an einer Berichterstattung hat aber vor allem seinen Grund darin, dass dies eine Folge zweier Vorkommnisse war, die in Bad Gandersheim eine nicht unerhebliche Zahl an Menschen unmittelbar betroffen hat und von der eine noch größere Zahl durch die Berichterstattung auch im GK Kenntnis bekam.

Gerade bei der Berichterstattung gibt es ein starkes Missverhältnis zwischen Berichten über die Taten und solchen über die daraus resultierenden Folgen – nicht nur für die Täter, sondern durchaus auch die Opferseite.

Das sorgt nicht zuletzt für ein Zerrbild in der Öffentlichkeit, in der ein Eindruck entsteht, dass viele kleine wie schlimme Taten passieren, aber die dafür verhängten Strafen nicht oder nur beiläufig zur Kenntnis gebracht werden. Profiteure aus diesem Ungleichgewicht sind unter anderem rechtslastige Strömungen.

Dem konkreten Fall wohnt zudem eine gesellschaftspolitische Komponente inne: Die Frage, warum es nicht möglich war, den jungen Mann schon früher vor sich selbst, und damit auch die Gesellschaft vor den geschehenen Taten zu schützen, musste das Gericht zwar nicht klären, sie wurde aber im Prozess doch deutlich aufgeworfen. Sie mit „es muss erst was passieren, damit eingegriffen werden kann“ zu beantworten, entspricht zwar den tatsächlichen Umständen, kann aber nicht befriedigen.

Deutlich wurde an dieser Verhandlung aber auch, welch hohen Stellenwert die persönliche Freiheit hat. Das Gericht und alle Beteiligten betrieben einen hohen Aufwand, alle Details und Facetten von Geschehen wie Person zu beleuchten, bevor sie am Ende zu dem Schluss kommen mussten, die Freiheiten eines Menschen deutlich zu beschneiden, weil es keine andere Lösung gibt. Und in unserem derzeitigen Rechtssystem kann diesen Schritt nur ein Gericht vollziehen – wenn die dafür notwendigen Voraussetzungen gegeben sind. Einerseits beruhigend, andererseits eben auch ein hoher Preis für die Freiheit.rah