Landleben – Wie kommt Leben in den ländlichen Raum?

Vielbeachtetes offenes Fachgespräch zeigt (einen gar nicht so schlechten) Stand und Wege in die Zukunft auf

Auch bei einem ernsten Thema mit Spaß bei der Sache: Das Podium war (von links) mit Silke Franz, Thomas Pilz, Viola von Cramon, Ricarda Polzin, Benno und Anna Löning besetzt.

Brunshausen. Eine hochkarätig besetzte Veranstaltung beschäftigte sich am Mittwochabend im voll besetzten Saal des Klosterhof-Cafés in Brunshausen mit einer Frage, die viele Menschen umtreibt: Wie bringt man wieder Leben in den ländlichen Raum, aber auch: Wie erhält man das, was noch da ist? Der als öffentliches Fachgespräch angekündigte Abend wurde von der Stiftung Leben & Umwelt sowie der Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt getragen. Eine gleichartige hatte einen Tag zuvor auch schon in Sachsen-Anhalt stattgefunden.

Drei der für das Podium gesetzten Teilnehmer waren dort, wie in Bad Gandersheim, Moderatorin Viola von Cramon, bis 2013 Bundestagsabgeordnete der Grünen, die Kulturgeographin Silke Franz aus Leipzig und Thomas Pilz von der Kulturfabrik Meda in der Oberlausitz. Den lokalen Akzent vertraten in Brunshausen die frühere Heckenbecker Ortsvorsteherin Ricarda Polzin sowie Benno und Anna Löning aus Brunshausen.

Ihnen gegenüber saß ein bunt gemischtes Publikum, das nur etwa zur Hälfte aus Bad Gandersheim kam. Dabei waren auch Einbecker, Osteröder, Northeimer und sogar Gäste aus Göttingen und noch weiter darüber hinaus, wie der Geschäftsführer der Metropolregion Hannover-Braunschweig-Wolfsburg oder der Bürgermeister des Fleckens Steyerberg im Landkreis Nienburg.

Die einleitende Frage der Moderatorin ging an die beiden Brunshäuser Anna und Benno Löning. Sie kennen das Großstadtleben, waren unter anderem in New York wie Stuttgart tätig, und haben sich doch bewusst für ein Leben im ländlichen Brunshausen entschieden. Da liegt es auf der Hand, den Grund zu hinterfragen.

Benno Löning fasste zusammen, Stadt sei vor allem als Tourist interessant. Dort zu leben und zu arbeiten hingegen eher anstrengend. In einer Stadt teile sich das Leben auf in Arbeit und den Rest als Entertainment. Das Leben im ländlichen Raum hingegen biete ganz andere Entfaltungs- und Gestaltungsmöglichkeiten. Das habe für das Klosterhof-Betreiberpaar den Ausschlag gegeben, der Stadt den Rücken zu kehren.

Womit sie nicht allein sind. Im Laufe der Veranstaltung wurde mehrfach festgestellt, dass die Landflucht ein auslaufender Trend ist, der sich inzwischen sogar umgekehrt hat. Immer mehr Menschen verlassen den städtischen Raum wieder, es ist schon von „Stadtflucht“ die Rede.

Gründe für eine solche Bewegung konnten sowohl Ricarda Polzin als auch Thomas Pilz anführen. Polzin verwies am Heckenbecker Beispiel darauf, wie aus einer Mischung von Alt und Neu etwas besonders Reizvolles entstehen könne, wie es in Heckenbeck geradezu magnetische Wirkung entfaltet hat.
Das Besondere an diesem Ortsteil sei aber auch, dass die Menschen sich bemühten, das Vorhandene, Alte zu bewahren und trotzdem gleichzeitig innovativ zu bleiben. Das gehe aber auch nur, wenn viel Toleranz mit im Spiel sei. In dem „Boom-Ortsteil“ haben sich viele „Macher“ zusammengefunden. Für „Leben“ auf dem Lande sei ganz entscheidend, wie stark jeder Einzelne bereit sei, sich für sein Lebensumfeld einzusetzen, markierte Polzin einen Kernpunkt für ein lebendiges Landleben.

Dem konnte auch Thomas Pilz beipflichten, der aus der Stadt aufs Land gezogen ist und in einem Landwirtschaftsdorf eine Kulturfabrik aufbaute. Dabei sei er anfangs durchaus skeptisch beäugt worden, inzwischen ist die Einrichtung mehr als etabliert. Pilz sah den Reiz am ländlichen Raum darin, dort ein glückliches, sinnhaftes Leben führen zu können. Er benutzte auch den Begriff der Selbstermächtigung, was bedeutet, das tun zu können, was einen glücklich mache. Menschen auf dem Land fänden zudem mehr zusammen, was das Land für Stadtmenschen inzwischen zu einem Sehnsuchtsort werden lasse.

Silke Franz, die zu dem Thema auch schon Studien veröffentlicht hat, münzte einen bekannten Spruch um: Landluft macht frei! Die Leerräume, die der ländliche Raum biete, böten eben auch Chancen, sich zu entfalten. Allerdings sei für viele aus der Stadt geflüchtete Menschen das Land nur die Kulisse, in der sie ein Stadtleben führten. Es fehle die typische Entschleunigung. Franz überraschte manche mit ihrer Außenwahrnehmung, dass aus ihrer Sicht Südniedersachsen viel Landleben habe. Da stehe es in Teilen Deutschlands schon ganz anders. Die entscheidende Frage sei aber, wie das hier in zehn Jahren aussehe.

Unter den Teilnehmern des Abends waren auch zwei Bürgermeister (die Bad Gandersheimer Bürgermeisterin war durch einen Paralleltermin verhindert). Heinz-Jürgen Weber, seit 2016 Bürgermeister des 5.000 Einwohner zählenden Fleckens Steyerberg, berichtete, es sei nötig, sich in einer so kleinen Gemeinschaft Visionen zu schaffen, wo man hin wolle. Steyerberg hat sich unter anderem auf die Fahnen geschrieben, kleinste Kommune mit einem Masterplan für die Erfüllung der Klimaschutzziele zu sein.

Und beim Thema Bauen und Wohnen hat es im Flecken ein radikales Umschwenken gegeben: Es werden keine Neubaugebiete mehr ausgewiesen, statt dessen gilt das Förderinteresse dem Erhalt bestehender Gebäude und Strukturen.

Aus Einbeck war Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek gekommen. Für sie war die gemeinsame Kommunikation ungemein wichtig. Miteinander zu reden, sei ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Die größten Probleme habe sie im allgemeinen in den kleinsten Dörfern. Um sie zu lösen, müsse über den Kirchturm hinaus gedacht werden, erfordere es regionale Vernetzung und gemeinsames Agieren.

In einem dritten Abschnitt des Abends wurde dann unter bestimmten Fragestellungen diskutiert. Dabei kamen nach der Feststellung, dass heute (noch) viel im ländlichen Raum vorhanden ist, auch Defizite zur Sprache. Ein mehrfach angesprochenes war die Langsamkeit von Verwaltungen und zu hoher bürokratischer Aufwand. Denkmalschutz nach deutschem Verständnis sei eher Verhinderer denn dem Leben angemessener Bewahrer.

In der zentralen Frage der Mobilität für Menschen in den Dörfern wurde hoher Handlungsbedarf bei einer Veränderung des restriktiven Personenbeförderungsgesetzes gesehen, um lokale Mobilitätsmodelle legal möglich zu machen, die zur Zeit nur mit bestimmten Umgehungen realisiert werden können.

An vorderster Stelle aber stand für fast alle eine schnellstmögliche Umsetzung der flächendeckenden Digitalisierung. Sie sei der wichtigste Schlüssel, um das Land auch an die Arbeit anzuschließen, was in Zeiten immer stärker genutzter Home-Offices oberste Priorität haben müsste. Um es endlich umzusetzen, müsse der Druck von unten nach oben verstärkt und notfalls auch nach eigenen lokalen Lösungen gesucht werden.

Das Ziel vieler Bemühungen ist, in einigen Jahren das Leben in der Stadt und auf dem Land als gleichwertig dastehen zu lassen. Dazu brauchen die Landkommunen Unterstützung bei den Aufgaben der Daseinsvorsorge. Diese dürfe nicht ökonomisiert werden.

Und zu guter Letzt: Die Menschen müssten begreifen, dass Bürger etwas für Bürger tun müssen und sich nicht allein immer auf Verwaltung stützen dürften.rah