Solidarität mit Opfern, Betroffenen und Hinterbliebenen

Ansprachen und Kranzniederlegung am Ehrenmal aus Anlass des Volkstrauertages

Gerry Klein und Heinrich Hohls hielten das Grußwort der Stadt Bad Gandersheim.

Bad Gandersheim. Mit einem Gottesdienst in der Stiftskirche haben am Sonntag die Feierlichkeiten zum Volkstrauertag begonnen. Der Posaunenchor der Evangelischen Stiftskirchengemeinde eröffnete anschließend mit einem Choral die Feierstunde am Ehrenmal. Anstelle von Bürgermeisterin Franziska Schwarz hielten die beiden neuen stellvertretenden Bürgermeister Gerry Klein und Heinrich Hohls das offizielle Grußwort der Stadt Bad Gandersheim.
Der Volkstrauertag wird seit 1922 begangen. Ursprünglicher Anlass war es, der Toten aus dem Ersten Weltkrieg zu gedenken. „Das gemeinsame Trauern war aus einem Solidaritätsgedanken motiviert, derjenigen, die keinen Verlust zu beklagen hatten, mit denjenigen, die ihre Ehemänner, Väter und Brüder im Krieg verloren hatten“, so Hohls. In der ersten offiziellen Rede zum Volkstrauertag, die der damalige Reichstagspräsident Paul Löbe 1922 hielt, habe die Versöhnung und Verständigung im Mittelpunkt gestanden.
Hohls schilderte, dass ein Komitee, dem die großen Glaubensgemeinschaften, viele Verbände bis hin zum Jüdischen Frauenbund angehörten, sich dafür eingesetzt hat, dass der Volkstrauertag in den meisten Ländern fortan gemeinsam begangen wurde. Während die Nazis aus dem Volkstrauertag einen „Heldengedenktag“ machten, sei er in der Nachkriegszeit, nach Gründung der Bundesrepublik, ab 1950 in seiner ursprünglichen Bedeutung wieder eingeführt worden.
Im Auftrag der Bundesregierung betreue der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge heute die Gräber von etwa 2,8 Millionen Kriegstoten auf über 832 Kriegsgräberstätten in 46 Staaten. Unterstützt werde er von mehr als einer Million Mitgliedern und Förderern sowie der Bundesregierung. Mit wachsendem Abstand vom Krieg sei es vor allem ein Tag der Trauer, aber auch der Versöhnung, Verständigung und für Frieden.
Die Schrecken des Zweiten Weltkriegs würden nun 76 Jahre zurückliegen. „Wir können uns glücklich schätzen, dass wir damit seit mehreren Jahrzehnten kein Kriegsgeschehen in unserem Land erleben mussten. Bereits zwei bis drei Generationen, seit den ab 1950 Geborenen, sind bisher verschont geblieben von durch Krieg verursachten Gräuel und Leid“. Dennoch sei die Welt nicht frei von Krieg.
Hohls erinnerte daran, dass kein Tag vergeht, an dem nicht in irgendeinem Land oder Kontinent geschossen, gebombt und getötet wird. Der letzte Krieg, der geografisch sehr nahekam, sei der Jugoslawienkrieg gewesen, der zehn lange Jahre, von 1991 bis 2001, andauerte. „Auch hier waren wir mittelbar oder unmittelbar betroffen. Entweder waren Nachbarn oder Freunde, die Familien in Bosnien oder Serbien hatten, betroffen, oder aber wir kannten deutsche Soldaten, die von der Bundeswehr ins Kriegsgebiet geschickt wurden“, machte das Grußwort deutlich.
„Wir leben nicht in
friedvollen Zeiten“
„Auch wenn wir hier in Deutschland eine lange Zeit verzeichnen können, in der keine Bombe auf deutsche Städte gefallen ist, so leben wir doch in keiner friedvollen Zeit“. Nach der langen Zeit des Kalten Kriegs sei es der Terroranschlag von Islamisten in New York am 11. September 2001 gewesen. „Danach folgten zahlreiche Terroranschläge in deutschen und europäischen Innenstädten, die uns erschütterten“.
Darunter habe der Anschlag auf die Redaktion des Satire-Magazins „Charlie Hebdo“ in Paris „einen der heftigsten Schocks auf uns ausgelöst“. Mit dem Terror sei die Gewalt ganz nah in unseren Lebensalltag gekommen. Der Krieg finde nicht auf fernen Schlachtfeldern statt, sondern direkt vor der Haustür, in der U-Bahn, auf dem Marktplatz.
Hohls: „Auch der seit 2011 andauernde Bürgerkrieg in Syrien betrifft uns mittelbar. Denn seitdem strömen zahlreiche syrische Flüchtlinge in unser Land. Unschuldige Menschen, die wegen der sich bekämpfenden Gruppen ihr Zuhause und ihre Lebensgrundlage verlieren“. Darüber hinaus seien es die seit Jahrzehnten bestehenden kriegerischen Auseinandersetzungen in afrikanischen Staaten wie Uganda, Nigeria oder Mali. Auch dies sei der Grund, warum Tausende von Afrikanern ihren Kontinent verlassen, um in Europa ihr Glück zu versuchen, um eine friedvollere Lebensgrundlage zu erhalten“.
Ein weiterer wohl endlos scheinender Konflikt fand Erwähnung: der Nahostkonflikt. Erst im Mai habe die Hamas wiederum israelische Städte mit über 1000 Raketen beschossen, die israelische Armee sich mit einem massiven Angriff auf den Gazastreifen verteidigt. Viele unschuldige Menschen seien auf beiden Seiten dabei getötet worden.
Aber auch wenn kein konkretes Kriegsgeschehen zwischen einzelnen Staaten oder in Form eines Bürgerkriegs erfolge, sei das gewaltsame Vorgehen diktatorischer Staaten gegen Bürger und Bürgerinnen, die sich einer unrechtmäßigen und undemokratischen Politik widersetzen, eine Art von Krieg. Der stellvertretende Bürgermeister verwies auf die Verfolgungen von Dissidenten, Journalisten und Journalistinnen in China, Russland, der Türkei und Belarus. Demonstrationen würden von der Polizei brutal niedergeschlagen, widerständige Personen willkürlich verhaftet und gefoltert.

„Wir leben weiß Gott nicht in einer friedvollen Welt. Wir sehen, dass – ganz gleich, ob im konkreten Krieg oder in ,nur’ gewaltsamen Aktionen – Menschen nach wie vor sterben müssen durch die Hand Dritter“. Oft seien es unschuldige Menschen, sogenannte Zivilopfer, zudem seien es immer Angehörige der jeweiligen Militärs, Soldatinnen und Soldaten, die ihr Leben der staatlichen Zielsetzung lassen.

Hinzu kämen die Menschen, die sich für eine gute Sache einsetzen, wie für den Rechtsstaat, Demokratie und Freiheit. Auch sie müssten ihr Leben lassen. „Ganz gleich, aus welchen Gründen oder durch welche Umstände, das Leben zu verlieren durch Gewalt anderer ist eine schreckliche Tatsache, die sofort aufhören sollte. Aber wir alle wissen und begreifen schmerzlichst, dass Gewalt und Tod wohl zum Leben dazu zählen“, so Hohls.
Dennoch können wir etwas dagegen tun, betonte Gerry Klein. Neben dem Gedenken der Kriegs- und Gewaltopfer eröffneten sich weitere Aktionsfelder, auf denen wir den Betroffenen begegnen können: Klein nannte das Stichwort Solidarität. „Wir appellieren heute am Volkstrauertag an alle, die das durch Gewalt entstandene Leid minimieren wollen, Solidarität mit Opfern, Betroffenen und Hinterbliebenen zu haben. Denn nicht nur diejenigen, die ihr Leben verloren haben oder unschuldig im Gefängnis sitzen, sondern auch die mittelbar betroffenen Menschen erleben eine massive Beeinträchtigung ihres Lebens, sei es durch den Verlust des geliebten Partners oder der Unmöglichkeit, das eigene Leben wie gewohnt fortzuführen. Um hier nur ein Beispiel zu nennen: In vielen Fällen sind psychische Erkrankungen die Folge“.

Gedenken! Was können wir tun?

Ein Gedenktag wie dieser sollte, so Klein, auch immer daran erinnern, was wir unternehmen können, um Gewalt zu vermeiden. „Inwieweit können wir als Politiker und Politikerinnen oder über welche Wege können Organisatoren, Staatengemeinschaften wie die Europäische Union aktiv werden und andere Regierungen an Kriegen oder gewaltsamen Aktionen hindern? Wir kennen Möglichkeiten wie wirtschaftliche Sanktionen, Boykottaktionen und anderes. Alles, was helfen kann, Gewalt zu verhindern, sollte angedacht werden“.

Das Thema Corona stellten Josephine Brackel und Max Wüstefeld, Schülerin und Schüler des Roswitha-Gymnasiums, in den Mittelpunkt ihrer Ansprachen während der Feierlichkeiten zum Volkstrauertag.

Sie verwiesen zunächst darauf, dass heute der Volkstrauertag genereller genutzt werde, um den Problemen und negativen Dingen unserer Welt Aufmerksamkeit zu schenken und wieder ihrer Opfer zu gedenken. Und zu diesem Anlass wäre wohl kein Thema passender als die globale Pandemie. „Wir denken, dass besonders die junge Generation und die ältere hierunter sehr litten, da sie in den letzten paar Monaten eine Menge Eingeständnisse machen mussten.
Die ältere Generation wird hierbei leider häufig außen vor gelassen. Wir als Schülerinnen und Schüler waren sehr direkt von Corona und den dazugehörigen Maßnahmen betroffen und sind ebenfalls eine der Gruppen, die in den meisten Punkten eingeschränkt wurden“, sagte Brackel.

Ob es nun das Wegfallen einiger sozialer Kontakte auf Grund von Homeschooling oder das Wegfallen eigentlich wichtiger „Events“ wie Konfirmationsfeiern oder 18. Geburtstage gewesen sei. „Viele von uns haben sich dadurch sehr entmutigt und teilweise auch alleine gefühlt“, berichtete die Gymnasiastin. Es habe 2021 einen Anstieg von fast 20 Prozent bei der Diagnostizierung von Depressionen bei 14- bis 22-Jährigen gegeben.

Zudem sei für viele das Homeschooling nicht nur sozial eine große Hürde, sondern ihre schulische Leistung und das Verständnis für Themen, welche auch für einen guten Schulabschluss relevant werden können, fehle nun an einigen Stellen. Die Möglichkeit, ein schulisches Praktikum zu bestreiten, sei leider auch weggefallen, wodurch sehr vielen ein praktischer Zugang zu einigen Berufen fehlt.

„Aber nicht nur wir haben unter den Folgen des Coronavirus gelitten, wir wollen auch die ältere Generation nicht vergessen, welche durch ihren Status als Risikopersonen auch auf einige eigentlich essenzielle Dinge nahezu komplett verzichten mussten“, so Wüstefeld. Beispielsweise seien Altersheimbesuche sehr schwierig und unsicher zu Beginn der Pandemie gewesen. Dies habe sicherlich auch bei der älteren Generation für eine Menge Trauer gesorgt. Des Weiteren fielen Dinge wie Ausflüge oder gemeinsames Kaffeetrinken ebenfalls weg.

Soziale Kontakte waren kaum bis schwer möglich, sowohl im familiären Umfeld als auch mit Freunden oder Bekannten. „Wir sind der Meinung, dass diese Zeit, so schlimm sie für uns alle gewesen sein mag, nicht nur negativ zu sehen ist.

Zum einen sind einige elementare Fehler unseres Schul- und Gesundheitssystems stark zur Geltung gekommen und können somit auch behoben werden. Zu nennen ist zum Beispiel die Digitalisierung unserer Schulen oder wie Pflegekräfte trotz ihrer Wichtigkeit immer noch sehr vernachlässigt werden. Außerdem finden wir, dass eben die soziale Abschottung und das Gefühl der Einsamkeit, welches einige verspürten, dazu führen wird, dass wir als Gesellschaft mehr lernen können, das Miteinander zu schätzen, und wir uns mehr um unsere Mitmenschen sorgen werden.

Wir wollen zum Abschluss noch den Appell an jeden Einzelnen richten, sich um seine Mitmenschen zu kümmern und einander zu schützen. Nur so können wir die Pandemie ohne noch größere Schäden überstehen und wieder zur Normalität zurückkehren“.art