Stadtspaziergang 1938 im Museum

Manfred Kielhorn referierte zweimal vor vollem Haus

Bad Gandersheim. Die Museumsfreunde hatten wieder einen guten Griff getan, als sie Manfred Kielhorn gewinnen konnten, ein einst bei einer Versteigerung im Internet in München erworbenes Konvolut von etwa 60 Fotografien aus der Zeit vor rund 80 Jahren im Rahmen eines Vortrages im Museum zu präsentieren. Konnte der erste Vortragstermin wegen Überfüllung des Biedermeierzimmers von vielen Interessenten mangels Platz nicht wahr genommen werden, so war die Wiederholung eine Woche später nicht weniger „ausgebucht“. Der Vortragende berichtete von der Geschichte des Erwerbs der Bilder für einen Spottpreis.

Dabei versetzte er sich in die Lage des damaligen Reisenden, der, so wie es die Bilder zeigten, ein guter Beobachter und zielgerichteter Wanderer in unserer Stadt gewesen sein muss. Es kann natürlich auch eine Frau gewesen sein, das blieb im Dunklen, denn allzu viele Informationen über die Person, die damals durch Gandersheim spazierte, gibt es nicht. Wir kennen weder Namen noch Herkunft. Anhand der Bilder und vergleichender Aufnahmen aus dem Museum lassen jedoch darauf schließen, dass es sich um die Jahre 1942, 1943 oder 1944 gehandelt haben muss, als die gezeigten Bilder entstanden. Auch muss der oder die Reisende mit der Eisenbahn gekommen sein, denn die ersten Bilder entstanden am Bahnhof und dann in der Moritzstraße.

Ferner ließ sich aus den Aufnahmen ableiten, dass es Sommertage waren, denn die Sonne stand hoch am Himmel, die Schatten waren kurz. Der unbekannte Reisende nahm wohl im Hotel „Weisses Ross“ , das seinerzeit erste Haus am Platze, sein Quartier, denn es lässt sich anhand der Aufnahmen rekonstruieren, dass er aus dem ersten und zweiten Stockwerk dieses ehemaligen Hotels Bilder in Richtung Markt und Stiftskirche gemacht haben muss. Eine gewisse Verunsicherung im Publikum entstand, da fast alle Bilder kaum Menschen auf den Straßen und Plätzen der Stadt zeigten. Auch Verkehr war praktisch nicht vorhanden.

Es schien eine eigentümliche Stille und Leere in der Stadt zu herrschen. War es ein Sonntag? War es um die Mittagszeit? Immerhin entstanden die Aufnahmen mitten im Krieg, Gandersheim beherbergte damals viele Verwundete Soldaten. Nichts davon zeigten die Bilder. Keine Uniformierten, keine Hitlerjungen, nur die Hakenkreuzfahne an der Ostfassade der Stiftskirche weist auf die politische Situation jener Zeit hin. Der Fotograf ging damals sehr zielgerichtet auf alle wichtigen Teile der Stadt zu.

Das noch bestehende Solebad Roswitha konnte er aufnehmen, ohne jedoch eine Kurgast zu zeigen, die Reichsmotorsportschule war ebenfalls ein Objekt seiner Kamera. Ob er zu ihr gegangen ist, wissen wir nicht. Die damalige Badeanstalt - der Sprungturm und andere Materialien waren seinerzeit noch aus Holz - war ebenfalls Ziel seines Aufenthalts. Hier konnte er planschende Kinder aufnehmen, aber kaum Erwachsene. Wo waren sie? Auch der Burg stattete er einen Besuch ab, ebenso der Hildesheimer Straße mit seinen Eisenbahnviadukten.

Die Osterbergseen, die erst wenige Jahre zuvor als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Regierung angelegt worden waren, besuchte der unbekannte Reisende wie auch die noch heute bestehende Grundschule. War er ein Werbefilmer? Wollte er Propaganda machen? Wohl kaum, denn die Prestige-Projekte wie die im Reich wohl bekannte Motorsportschule oder das NS-Jugendheim beim waren nicht vorrangige Ziele des Fotografen. Es bleibt so Manches im Verborgenen.

Die zahlreichen Nachfragen aus dem Publikum gaben zu vielen Spekulationen Anlass, konnten aber kein Licht in die Sache bringen. Manfred Kielhorn jedenfalls hat mit seinem Vortrag die Tage vor ca. 80 Jahren in unserer Stadt in einem besonderen Licht aufscheinen lassen. Bei den Zuhörern waren Staunen und Rätsel die wesentlichen Reaktionen. Auf jeden Fall war alles sehr spannend. Frau Goslar, die allzeit rege Vortragswartin der Museumsfreunde, dankte Herrn Kielhorn für die Bilder und Worte und überreichte eine gute Flasche Wein, damit er „sicher über den Winter kommt“ wie sie schmunzelnd bemerkte.

Im gleichen Atemzug kündigte sie den nächsten Vortrag für den 12. November an. Dann wird Claus Schrader, der ausgewiesene Militärexperte bei den Museumsfreunden, das letzte Kriegsjahr des 1. Weltkriegs behandeln, also den Abschluss zu der Sonderausstellung „100 Jahre 1. Weltkrieg“ zu Gehör und Gesicht bringen. Auch den folgenden Waffenstillstand und seine katastrophalen Folgen wird sein Thema sein. Alle Interessenten sind bei freiem Eintritt herzlich eingeladen.red/uk