Stromkästen erzählen Geschichte(n)

Motiv in der Salzwiese zeigt Aufnahme von Arbeitersiedlung in ihren Anfängen

Gerda Steckhan und Jes-Uwe Jessen haben die Gestaltung des Stromkastens gesponsert.

Bad Gandersheim. Der Kur- und Verkehrsverein hat in diesem Frühjahr weitere Versorgungkästen mit der Unterstützung vieler Sponsoren gestalten können. Die Broschüre, die vor einigen Wochen der Tourist-Information übergeben werden konnte, hat reißenden Absatz gefunden. Die Auflage wurde bewusst mit 500 Stück klein gehalten, um die neu gestalteten Kästen in die jeweils neue Auflage einarbeiten zu können. Liane Schrader und Liane Goslar ist es wichtig, den Rundgang durch die Stadt zu erweitern, beziehungsweise Lücken zu schließen.

Durch den neu gestalteten Versorgungskasten in der Salzwiese kann der Rundwanderweg in der nächsten Auflage erheblich verbessert werden. So kann der Betrachter durch die Salzwiese über die kleine Gandebrücke den nächsten Kasten in der Neuen Straße ansteuern. Auf diesem Weg liegen noch weitere Kästen, für die der Kur- und Verkehrsverein in Zusammenarbeit mit dem städtischen Museum einige interessante Fotomotive zur Verfügung stellen könnte. Der Versorgungskasten in der Salzwiese ist mit einer Aufnahme von 1937 gestaltet. Sie zeigt die Arbeitersiedlung in ihren Anfängen. Die Doppelhäuser wurden nach Maßgabe des Reichheimstättengesetzes erbaut.

Der Zweck des 1920 erlassenen Reichsheimstättengesetzes war der vor möglichen Gläubigern geschützte Erwerb und Besitz von Wohneigentum und die Bindung des Eigentümers an bestimmte bodenpolitische Ziele. Insgesamt dürften von den Anfangsjahren nach dem Ersten Weltkrieg bis in die 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts etwa 80.000 dieser Wohnbauten in Deutschland entstanden sein. Dieser auf seine besondere Art soziale Wohnungsbau, war an strenge Regeln geknüpft. Als Heimstätter waren natürlich Kriegsteilnehmer, Kriegerwitwen, kinderreiche Familien usw. vorzugsweise zu berücksichtigen. Befreiung von Steuern des Reiches, Notwendigkeit von Eigenleistungen, Nachbarschaftshilfe und viele andere Vorteile machten den Erwerb einer Immobilie und ihren Bau für knapp 3500 Reichsmark für eine Doppelhaushälfte möglich. Musste ein Kredit aufgenommen werden, war der Zinssatz bei 1 Prozent festgelegt.

Nach 1933 wurde das Gesetz modifiziert, aber erst nach dem Zweite Weltkrieg aufgehoben. Eine Beleihung der Immobilie war nicht vorgesehen. Das Wohnen und Leben in diesen Gebieten war streng geregelt. Neben den festgelegten Grundrissen der Grundstücke und Häuser, war auch die Anzahl und die Art der Tiere, die gehalten werden durften, genau geregelt. So waren zum Beispiel Hähne als unnütze Fresser nicht gern gesehen. Ebenso musste der angrenzende Garten nach ganz bestimmten und genau fest gelegten Kriterien genutzt werden. Rasen und Blumenbeete waren in geringem Umfang zugelassen. Ziel war eine weitgehende Selbstversorgung der Bewohner.

Die Gandersheimer Geschichtswerkstatt hat sich in einem Buch „Gandersheim außerhalb der alten Stadtmauern“ mit der Straße intensiv befasst. Darin finden sich nähere Angaben. Die Wohnfläche war auf 83 Kubikmeter beschränkt. Die Keller wurden aus heimischen Bruchstein gemauert. Darauf wurde das Gebäude in Ständerwerk als Fachwerkhaus errichtet. Eine interessante Anmerkung findet sich ebenfalls in den Ausführungen der Geschichtswerkstatt. Fünf Doppelhäuser wurden in der Straße zeitgleich errichtet. Vier der Doppelhäuser wurden unter den zukünftigen Hausbesitzern verlost. Das Bild auf dem Versorgungskasten zeigt im Hintergrund das Haus eines Sponsors. Erbaut für die Eigentümer Rohmeyer und Sauthoff. Heute gehört die linke Haushälfte der Familie Jessen. Das Haus wurde später mit einem Anbau erweitert und die Fachwerkfassade mit Klinker verkleidet.

Gerda Steckhan, eine weitere Sponsorin, stellte sich als eine wertvolle Quelle hinsichtlich Gandersheims jüngerer Geschichte heraus. Durch ihre Erläuterungen erhalten einige Personen auf dem Bild ihre Identität zurück.

In der Mitte des Bildes konnte Fritz Howind ermittelt werden. Howind baute zusammen mit seiner Frau Anna 1928 das Haus Nr. 3 in der Straße „An der Salzwiese“. Die Straße wurde später umgewidmet und heißt jetzt „Salzwiese“. Die Erwähnung „Salz“ im Straßennamen lässt auf eine Salzquelle schließen. Eine weitere Person auf dem Bild wurde ebenfalls durch Steckhan ermittelt. Das Mädchen am Zaun mit prächtigem Wuschelkopf ist die Tochter von Fritz und Anna Howind, Anneliese. Die Bewohner der Straße pflasterten wohl um 1937 die Straße in Eigenleistung.

Zu dem Thema „Siedlungen in Gandersheim nach dem Reichsheimstättengesetz„ hatten sich im Herbst letzten Jahres auch Dr. Rolf Holbe und Rolf Geske in einem Vortrag bei den Museumsfreunden intensiv auseinander gesetzt. Dieser Vortrag wurde von den heutigen Bewohnern der Siedlungen mit Interesse verfolgt. Es zeigt aber auch, dass durch den Wechsel der Hausbesitzer viele interessante Geschichten in Vergessenheit geraten sind. Mit der Aktion „Stromkästen erzählen Geschichte(n)“ soll der Wandel in unsere Stadt auf unterhaltsame Weise verdeutlicht werden.red