„Stromkästen erzählen Geschichte(n)“

Das Dorf Gremsheim, die Bombenangriffe auf Brauschweig und die evakuierte Familie Götte

Dieter Götte mit Frau Schnelle am neu beklebten Stromkasten in Gremsheim.

Bad Gandersheim. Der Kur- und Verkehrsverein setzt die Aktion fort, Versorgungskästen mit historischen Bildern zu gestalten. In der Kernstadt sind über 40 Versorgungskästen gestaltet. Nätürlich erstreckt sich die Unterstüztung auch auf die Ortsteile der Stadt. So konnten bereits in den Ortsteilen Hachenhausen, Ellierode, Dannhausen, Ackenhausen und Altgandersheim Zeugnisse der Vergangenheit wieder erlebbar gemacht werden. Dieter Götte hat nun mit dem Kur- und Verkehrsverein nach längerer Vorbereitungszeit eine Trafostation in der Ortsmitte Gremsheims gestaltet. Dieter Götte ist mit Gremsheim in besonderer Weise verbunden.

Evakuierung

Im Sommer 1942 erhielt Caroline Götte, Mutter von Dieter Götte, die Anweisung, Braunschweig mit sechs ihrer sieben Kinder zu verlassen. Die Tochter Ursula war dienstverpflichtet und arbeitete in einer Rüstungsfabrik (MIAG). Der Vater Wilhelm Götte war kurz vorher zur Wehrmacht eingezogen worden.
Die Fahrt von Braunschweig mit der Reichsbahn endete in Altgandersheim, wo der Landwirt Heinrich Schnelle (sen.) mit seinem Ackerwagen und Pferdegespann die Familie erwartete. Da man nur Gepäck mitbringen durfte, was man selbst tragen konnte – Möbel waren nicht erlaubt –, ging es recht zügig nach Gremsheim weiter.

Das neue Zuhause

Mit dem Haus Nr. 7 in der heutigen Altgandersheimer Straße hatte die Familie die zugewiesene, leer stehende Unterkunft erreicht. Hier standen Familie Götte im Erdgeschoss ein Wohnraum, ein kleinerer Nebenraum mit Kochstelle sowie eine Waschküche mit Wasseranschluss und Waschkessel zur Verfügung. Im Obergeschoss gab es noch ein Schlafzimmer für die vier kleineren Kinder (zwei bis acht Jahre alt), und einen kleinen Raum, ausreichend für ein selbst gezimmertes Etagenbett. Hier schliefen die Schwestern Inge und Waltraud (13 und elf Jahre). Des Weiteren war im Obergeschoss noch eine Frau aus Braunschweig mit zwei Kindern untergebracht.

Die Schwester Waltraud, heute im 89. Lebensjahr stehend, berichtet des Öfteren, wie fremd und verloren sie sich damals fühlte.
Aber es gab gleich vieles zu erledigen. Säcke waren als Schlafunterlage mit Stroh zu füllen, beim Gemeindedirektor stand ein Sack Kartoffeln für die Evakuierten bereit. Das wenige mitgebrachte Koch- und Essgeschirr sowie Kleidung und Wäsche waren auszupacken, und im Herd musste Feuer angemacht werden.

Einleben und sich einfügen in die Dorfgemeinschaft

Die Familien Schnelle und Bohnsack begegneten den Neuankömmlingen von Anbeginn aufgeschlossen und freundlich. Caroline Götte war nicht kontaktscheu, dabei war es von Vorteil, dass sie das Landleben von Kind auf kannte. Alles was Garten, Feld, Wald und Kleinvieh als Lebensgrundlage hergaben, wusste sie zu Speisen und Vorräten zu verarbeiten. Und da in der Kriegszeit Arbeitskräfte willkommen waren, hatte der Hof Alfred und Ella Bohnsack in ihr eine erfahrene Tagelöhnerin. Ihre gewiss sehr schwere Arbeit wurde durch Naturalien für die Familie entlohnt.

Aufgeschobene Rückkehr

Wie andere auch hätte die Familie Götte Gremsheim nach Kriegsende 1945 wieder verlassen können, wenn da nicht die Innenstadt von Braunschweig in der Nacht vom 14. auf den 15. Oktober 1944 praktisch völlig zerstört worden wäre. Die alte Wohnung nebst Mobiliar waren nicht mehr! So musste Familie Götte bis August 1949 bleiben, bevor Vater Wilhelm, 1945 glücklicherweise unversehrt aus Krieg und Gefangenschaft zurückgekehrt, ein „Behelfsheim“ für seine Familie in Braunschweig errichten konnte.

Die besonderen Verbindungen der Familie Götte zu Gremsheim

Außer Ursula haben alle Geschwister die Gremsheimer Schule besucht, Dieter Götte wurde 1948 eingeschult. Vier Geschwister wurden hier konfirmiert, drei von ihnen konnten der Einladung zur Goldenen Konfirmation in den 1990er Jahren folgen. Ilse Henters-Neuhs gilt für diese schönen, besonderen Tage ein herzlicher Dank! 1947 wurde im Haus Nr. 7 Hochzeit gefeiert. Schwester Ursula und Bernhardt Senkowski (aus Ostpreußen) wurden ein Paar. Im Juli 1949 erblickte im Haus Nr. 7 Gerhardt als Kind von Schwester Waltraud und ihrem Mann Günther Schramm (aus Pommern) das Licht der Welt. Als Günther 2018 in Braunschweig verstarb, konnten beide auf 68 Ehejahre zurückblicken.

1950 verstarb die Mutter nach kurzer, schwerer Krankheit, ein Schicksalsschlag, der die Verbindung zu Gremsheim verstärken sollte. Für den älteren Bruder Hansi war der Hof und die Familie Schnelle schon immer Mittelpunkt seiner Kindertage. Nun war diese Familie bereit, Hansi bei sich aufzunehmen. Er ging wieder zur Schule, wurde 1953 von Pastor Schubert konfirmiert, und besuchte die Landwirtschaftsschule in Bad Gandersheim. Einen ähnlichen Weg ging Schwester Gisela, die bei Familie Bohnsack eine Anstellung fand.

Dieter Götte durfte oftmals Ferien bei Schnelles verbringen. An diese herzliche Geste denkt Dieter Götte heute noch dankbar zurück. 2001 konnte Dieter Götte seinen 60. Geburtstag in Albert Bohnsacks „Musikfarm“ im Kreise seiner sechs Geschwister feiern. Dies gab Gelegenheit, wie einst 1944, nochmals ein Familienfoto vor dem Haus Nr. 7 aufzunehmen.

Die Trafostation in der Nähe des Kindergartens ist mit drei Aufnahmen bestückt. Eines der Bilder zeigt die Familie Götte 1942 und ein Gruppenbild mit Dieter Götte, Freunden und Bruder. Eine weitere Aufnahme zeigt Heinrich Schnelle jun., die Schwester Hildegard sowie Dieter und Hansi Götte 1954.
Der Kur- und Verkehrsverein bedankt sich recht herzlich bei Frau Schnelle und Dieter Götte.red